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26. 12. 1891

lf. Nr.

Aussteller

F. S.

Empfänger

Johanna A.

Liebe theure Johanna!
Geruehrt u. gedrueckt zugleich durch Deinen unheilvollen Wahn, als zuernte ich Dir, will ich un-gesaeumt Dir die Nachricht zugehen lassen, dass wir beide wechselweise die Pause unseres Briefwechsels verschuldeten. Vor allem verbanne jeden Gedanken von einer krankhaften Launenhaftigkeit oder Empfindlichkeit von meiner Seite, die Dich versuchen koennte, besonders vorsichtig mit mir zu verkeh-ren u. unserem Verhaeltnis die schoene Freimuethigkeit zu rauben, welche das schoenste Geschenk ist fuer jene, deren Gegenseitigkeit seit Langem erprobt ist.
Ich weiss recht gut, dass Du mich weder kraenken noch beleidigen willst, auch wenn Du nicht schreibst. Dein letzter Brief erreichte mich, als die Pause vorueber war, als ich schreiben haette koennen; der Herbst dehnte sich mit Sonnenschein lang hinaus u. die fernen Besucher draengten sich hier, bis die Weihnachts-mahnungen heranrueckten u. die Korrespondenz wieder verdraengten. Ich nahm mir vor, angesichts dessen, was Geschaeftliches vor mir liegt, Dir erst nach dem neuen Jahrestage zu schreiben, wenn ich alle anderen Mahner befriedigt haette. So aber fordern Deine schoenen Handar-beiten sofortige Vergeltung mit Dank u. Lobspruechen, welche sich umso reichlicher ergeben, als ich des Himmels Einsturz eher gedacht haette als eine Berufung in die obere Gueterhalle, woselbst ich einen Schatz zu heben hatte.
Eine solche Sendung ist eben so selten als kritisch, denn der Zoll schnueffelt daran u. analysiert die Gegenstaende wie die Chemiker ein Gift, u. wer davon Kunde hat, haelt sich fern. Das schoene Kissen, das doch hauptsaechlich in gelber Seide prangt, musste als „Geldstickerei“ fungieren, um es zu einem zollfaehigen Preise zu taxieren. Heute den 23., an einem grimmig kalten Tag, musste unsere Koechin – da ich selbst so weit nicht gehen kann – das Zweitemal ihr Glueck versuchen u. das Gepaeck ausloesen. Es musste untersucht werden, ob die Blumen aus Baumwollstoff oder Papier seien, damit der Staat nicht geschaedigt werde: „Der Zoll ist fuerchterlich u. man versuche die Goetter nicht.“
Dieses kleine Ungemach hat aber dem schoenen Geschenk keinen Eintrag gemacht, u. wenn ich dessen erwaehnt habe, so geschieht es nur aus dem Grunde, weil ich mich entschuldigen will, dass ich mich nicht rangieren[?] kann, um Dich nicht dieser Untersuchung in die Haende zu liefern. Reisende wollen nichts mitnehmen, um nicht unangenehm belaestigt zu werden, u. die Post hat so viel Ge-wissensscrupel.
Die schoene Schale mit den herrlichen Rosen steht auf meiner Kommode, das Kissen auf dem Toi-lettische u. zeugen fuer die Verfertiger. Es ist so angenehm, die Augen auf Gegenstaende von lieber Hand verfertigt zu werfen u. Gedanken wach zu rufen, die sich auf sie beziehen. Ich danke Dir herz-lich dafuer u. wuensche Dir vergelten zu koennen, wie Du mich erfreut hast.
Dieses Mal, liebe Johanna, wirst Du mit dem Lob der schoenen Schrift zurueckhalten, denn diess moderne Briefpapier, womit ich Dich auszeichnen wollte, verursacht meiner Hand schon etwas Krampf, da es entweder fliesst oder sich gaenzlich weigert, die Dinte aufzunehmen. Ich muss jedes Wort wiederholen, daher die rainen[?] Schriftzuege.

Der Mensch denkt u. Gott lenkt, liebe Johanna. Ich wollte zu allererst mein Gewissen beschwichtigen u. Dir nur schnell Kunde schaffen, aber die Weihnachtsbescheerung liess mich den ange-fangenen Brief nicht einmal beschliessen. Nun am stillen Weihnachts-Festnachmittage werde ich im Ernst Dir einen Besuch machen mit wenigen Zeilen zwar, aber um Dir zu wiederholen, wie sehr Deine schoenen Geschenke den Bescheerungstisch zierten u. ich im stillen Triumpf das Lob entgegen-nahm, das ihnen zu Theil ward.
Vor allem, liebe Johanna, moechte ich Dich bitten, ein Buch von mir entgegen zu nehmen, das ich schon lange fuer Dich bestimmte, es inzwischen einer Linzerin geliehen u. den Plan gehegt, wenn selbe nach einem kurzen Aufenthalt in Freistadt wieder nach Linz zurueckkehre, sie zu veranlassen, es Dir zu schicken od. selbst zu ueberbringen. Es ist dies Frl. Anna Edenberger, die mir von ihrer Rueckkehr geschrieben u. welche ich beauftragen werde, Dir das Buch zu uebergeben. Du hast dabei gar nichts zu thun als das Buch entgegen zu nehmen u. ueber die Verfuegung des Buches zu schweigen. Es ist mir zwar nicht ganz klar, ob Dir der Inhalt des Buches entspreche, aber ich hoffe, Du wirst Dich daran gewoehnen, den Inhalt in kleinen Dosen zu verdauen und lieb zu gewinnen. Es wird mir inte-ressant sein, Dein Urtheil zu hoeren. Hast Du keine Gelegenheit, den „Kampf um Rom“ zu lesen? Felix Dahn hat 18 Jahre daran geschrieben, aber ein Meisterwerk zur Welt gebracht. Der Schauplatz wimmelt darin von geistig u. koerperlich gross angelegten Naturen, die, selbst Daemone, Riesiges erstreben u. es hinopfern um wuerdigen Preis. Man glaubt sich in einer anderen Welt, u. dennoch packt u. fesselt es so unwiderstehlich u. macht uns die Gothen so vertraut. Das Werk ist noch sehr theuer u. kostet im Julende 28 Mark.
Moechte doch das neue Jahr Deinem Kopf alles zu lieb thun, damit er Dich nicht mehr schmerze. Es klingt mir ganz komisch, wenn Du von Deinem Alter sprichst, da unsere Erinnerungen so ganz kindischer Natur sind u. ich mich Dir gegenueber als Matrone gar nicht kenne.
Ob das neue Jahr ein Wiedersehen zu Stande bringt, ist sehr zweifelhaft. Ich bewege mich nicht von der Scholle, seit ich meiner Glieder nicht mehr Herr bin, u. Vergnuegungsreisen zu machen, muss man Gottbegnadet sein, es gehoert so viel Unmoegliches dazu!
Haette ich im Herbste nicht Eure Spur verloren gehabt, waere es mir moeglich gewesen, Deinen Neffen Heinrich auf ein paar Tage einzuladen. Waehrend der Manoeverzeit war unseres Mietsherrn Zimmer leer, was jetzt wieder nicht mehr sein wird, da ein Wechsel das Zimmer fuer immer okkupiert. – So ist es mit Allem, was schoen gewesen waere u. nicht hat sein sollen.
Ihr habt Euch gewiss auch ein Baeumchen geschmueckt u. gegenseitig ueberrascht. Frau Doktor u. ich waren heuer das erste Mal allein, haben aber nicht ermangelt die Lichtlein aufzustecken u. die Gaben unter denselben zu beleuchten. Sonderbarer Weise fiel die Bescheerung so ueberaus reich aus, dass das ganze Zimmer voll „Tischlein deck‘ dich“ war.
Gruesse mir Deine lieben Schwestern recht herzlich u. sage ihnen, dass es mich innig erfreut, wenn sie mich in Gedanken in ihr Stillleben einschliessen.
Wie kommt es doch, dass Ihr so viel mit Unwohlsein zu kaempfen habt? So kleine immerwaehrende Nadelstiche sind schwerer zu ertragen als eine ausgesprochene Krankheit, aber der Mensch muss seine Geduld im Ungemach bewaehren.
Moege Euch Gott im neuen Jahre mit seiner Gnade ueberhaeufen, damit Ihr doch im Sommer Eures Lebens hinreichend Sonne habt, um Alles zur gluecklichen Reife zu bringen, was in Eurem Boden gesaeet und gepflegt ist. Der Mensch lerne, gegen den Strom zu schwimmen, denn der Wandel der Gestirne lenkt die Schifflein in unbekannte Bahnen. Des Herrn Wille geschehe, dann wird uns das neue Jahr bald so vertraut werden, wie es das alte ist mit seiner herben Strenge u. seinen seltenen Liebkosungen.
Fuenf Tage schreibe ich schon an dieser Epistel u. immer werde ich abgehalten, Dir Dein Herz zu erleichtern u. die Absolution fuer alle Vergehungen zukommen zu lassen.
Prosit neues Jahr Allen, die mir wohl wollen u. meiner freundlich gedenken!
Deine alte Freundin F. S.
Den 26. Dezember 1891

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