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23. 5. 1891

lf. Nr.

Aussteller

Franziska S.

Empfänger

Johanna A.

Geliebte Johanna!
Eine Korrespondenz ist wohl ein Ersatz fuer Trennung, aber sie beweist sich doch meist als recht unzureichend, wenn ihr Verhaeltnisse und Hindernisse dazwischen geschoben werden, die in das stillhaeusliche Gewebe nicht passen wollen, so dass das Weberschifflein nicht ungehindert hin und wie-der fliegen kann, ohne boese Stellen oder gar Kanten darin aufzuweisen. Aber ein Austausch der Rede vom u. zum Herzen bleibt es doch, wenn gegenseitige Duldung u. Nachsicht die Maengel darin ausgleicht.
Dein letzter lieber Brief hat mir ungemein Freude bereitet, besonders weil Du mir den Kreis so vieler theurer Verwandten erweitert hast, welche ich im Hause Deiner Eltern u. ihrer Lieben kennen gelernt habe, deren Erinnerung mir gegenwaertig u. lieb ist. Es ist ja am ganzen Ver-wandtschaftskoerper kein Glied, das mich nicht stolz machte, wenn es sich meiner erinnert, denn keines derselben hat mich ja als Fremde begruesst. Deine verehrten Eltern schlugen diesen Ton an, das Nachspiel verstand sich von selbst.
Wir haben dem Winter ein voreiliges Lebewohl gesagt, denn er kam noch einige Male zurueck, um jenen mit Anhaenglichkeit zu lohnen, die ihn so gar nicht moechten. Dein Gesundheitszustand, liebe Johanna, wird sich erst nachtraeglich erholen koennen. So ganz unbedingt wuerde ich zur Kneipkur nicht rathen. Dass es keine Universalkur sei, beweisen schon viele traurige Beispiele, deren Folgen nicht mehr gehoben werden koennen. Und ich denke, dass Kneip nahe daran ist, sich zu ueberleben wie alle anderen Apostel dieser Art, wenn sie auf einer solchen Hoehe stehen.
Grosse Freude und Genugthuung habe ich empfunden ueber die wiedereroberten Rechte des Baron Hayden, der seinen Ahnen und den Zeitgenossen ein Denkmal gestiftet hat, das er ihnen durch sein Streben erbaut. Der adeliche Sinn, der ideale Werth des Mannes liess ihn stets als einen Bevor-zugten seines Stammes erkennen, u. heitern u. ungebeugten Muthes schritt er seinem Ziele entgegen, das ihm die verdienten Lorbeeren entgegen bringt. Ich bitte Dich, liebe Johanna, mich dem Hn. Ba-ron zu empfehlen u. ihm meine Theilnahme zu melden. Waere ich nicht Bayerin, so moechte ich ihn fragen, was er ueber unseren „Bismarck“ denkt. So aber fuerchte ich, koennen unsere Urtheile nur par-teiische sein u. vielleicht besser unausgesprochen.
Fraeulein Prohaska habe ich seither nicht wieder gesehen. Ihre Mutter macht jaehrlich eine Vergnue-gungsreise hieher, u. von hier schickt sie ihre Tochter nach Linz, wahrscheinlich zu einer Zeit, wo Du irgendwo die Sommerfrische geniessest u. sie Dich nicht in Linz trifft. Sie scheint mir sehr einfach u. harmlos zu sein u. ich kenne sie sehr wenig.
Frau Doktor Bernhuber erfreut sich seit Kurzem einer dritten Enkelin; Unwohlsein verhinderte sie, ihr Erscheinen zu begruessen. Dafuer wird sie im Laufe des Sommers eine Inspektion unterneh-men.
Ueber meine vielbesprochene Geistesfrische bist Du sehr im Irrthum, liebe Johanna, das Papier ist ein partheiischer Zeuge des geringen Masses, ueber welches ich zu verfuegen hatte. Wenige Stunden im Tage sind mir gegoennt, mit meinem Depot zu schalten u. weise Haus zu halten, wenn ich nicht fuerchten soll, vor der Zeit mich insolvent zu erklaeren. Etwas Enthusiasmus, den Nachlass unbe-nuetzter Jugendkraft, u. ein Gut von Idealen, welche ich mir wie in einem feuersicheren Schranke verwahrt habe, sichern mich vor Verkrustung u. vor zu ueppiger Moosbildung. Aber wie lange noch? Das Laempchen ist am Erloeschen, da es Tag u. Nacht sein Leben fristen muss bei immer spaerlicherer Nahrung. Meine Schlaflosigkeit bietet das Hoechste u. sie wird mich bald ueberboten haben.
Schamroth machst Du mich, liebe Johanna, wenn Du von meiner zierlichen Schrift sprichst, welche ich mit bewaffneten Augen zu stande bringe. Meine Schrift haengt von 3 Vasallen ab, welche sie gar nicht zur Geltung kommen lassen. Papier, Feder u. Dinte sind die Hauptfaktoren meiner schriftlichen Arbeit, deren stramme militaerische Richtung nicht mehr herzustellen ist, da die Hand unsicher u. unruhig ist.
Liebe Johanna, so sehr ich mich jetzt auf’s Neue in Euren lieben haeuslichen Kreis hineingelebt habe, so weiss ich doch nicht mehr, wann Du Dein Namensfest feierst? Ich setze den Fall, dass es der 24. Mai, der glueckliche Tag sei, an welchem Verwandte und Freunde sich Dir glueckwuenschend nahen, Dir ihre Herzenswuensche zu bieten u. einen neuen Pakt auf Deine Freundschaft zu schliessen. Ich will auch nicht ferne stehen bleiben u. geduldig warten, bis alle Gratulanten das ganze Woerterbuch des Wuenschens vor Dir aufgeschlagen haben u. Du, gesaettigt von ueberirdischer Kost, das Wuenschen verdaut hast u. gelangweilt den Bodensatz der Nichterfuellung, ohne daran zu ruetteln, zur Seite stellest. Ich freue mich, Deine Spur wieder gefunden zu haben, liebe Johanna, u. so Gott will wer-den wir den Weg zu einander nicht mehr verlieren, denn mein Weg ist jetzt in Schienen eingeengt u. Dein Weg fuehrt nur in wohlgelegte Familienkreise, die Weltereignisse nicht mehr so leicht verwirren. Dass wir eintraechtig den kurzen Weg zuruecklegen, den ich noch zu durchschreiten habe, ist ein Wunsch, welchen ich denen, die Dir Gesundheit, heitere frohe Tage, Glueck u. Wohlstand bescheren sollen, bei-fuege. Lasse Dich nicht betaeuben durch abwechselndes Unwohlsein; es ist des Menschen Loos, selbst in schweren Tagen noch mit den Drangsalen kaempfen zu muessen, welche dem Leben eine Abwechslung geben. Wenn wir standhaft gestritten haben, um eine schwere Minute zu den fertigen zu legen, sehen wir laechelnd darauf zurueck u. freuen uns, dass nichts von dem aufgespeicherten Unrath vertilgt ist u. sogar manches darin finden, was eine gute Saat verspricht, wenn wir alles in einen geeigneten Bo-den zu legen wissen u. es naturgemaess pflegen.
Deine verehrten Eltern, Gott habe sie selig, geben das beste Beispiel eines vielbewegten Lebens, das mit viel Arbeit u. Aufopferung begonnen, endlich nur Kummer und Sorge eintrug. Aber der aeussere Friede, den sie zeigten, war nicht erheuchelt; er trug das Gepraege des siegreichen Ueberwin-dens, den Stempel des goettlichen Adels, der nur den Auserwaehlten verliehen ist. Welche Schaetze, die kein Menschenauge sah, haette der innere reiche Schacht nicht zu Tage foerdern koennen, wenn nicht Missgeschicke aller Art allmaehlich alle Grubenlichter ausgeloescht haetten, die in diesem Falle die Arbeit foerderten. Aber er litt ruhig, liess alle Wetterschlaege ueber sich allein ergehen u. arbeitete schweigend fort. Und Deine Mama, diese engelhafte Dulderin, welche sich selbst ganz vergass u. ihre Lebensauf-gabe darin fand, ihren schweren Pflichten u. ihrer Umgebung zu genuegen, sie trug u. schwieg u. war nur aengstlich bemueht, der Welt zu verbergen, dass die Last, welche die Krankheit erhoehte, sie zu Bo-den druecke.
Gesegnet sei ihr Andenken! Ich erquicke mich selbst, wenn ich an geeigneter Stelle von den theuren Hingeschiedenen sprechen kann. Es ist dies eine wuerdige Namensfestfeier, die wir gemeinsam begehen.
Ich gruesse Deinen Neffen auf’s Herzlichste. Er scheint ein junger strebsamer Student zu sein, dem es der Muehe wert ist, noch fuer Andere als fuer seine Buecher liebenswuerdig zu sein. Es gibt ihrer so viele, welche am Born der Wissenschaft nur einmal genippt, sich schon berauscht u. betaeubt fuehlen u. auf ihrem angewisen Terrain nicht mehr gerade stehen koennen. Es ist ein grosses Glueck fuer ihn, dass er unter lieben Tanten wachsen und reifen kann, wo ihn der Duenkel nicht so zu ueberwuchern droht.
Du hast ganz recht, liebe Johanna, die Vorzuege, welche Deine Wohnung bietet, in Ehren zu hal-ten. Es ist immer nur ein Wechsel von Ungemach, den man gegen eine andere Wohnung umtauscht. Die Erde bietet nichts Heimisches u. Vollkommenes. Fuer die gichtische Anlage moechte ich die schlesische Kronenquelle anrathen, welche freilich teuer, aber fuer dieses Leiden vorzueglich ist. Du kennst sie gewiss, vielleicht durch Bekannte? Hat die liebe Schwester Marie vielleicht schon Glycerin angewendet zur Bestreichung ihrer geschwollenen Haende? Die spaete Fruehjahrssonne wird die Geschwulst auffangen u. ueberhaupt Euer, durch die Ruhe des Winters herabgekommenes Befinden wieder herstellen. Diese Wohlthaeterin liebt es ja, die Schaeden zu untersuchen u. auszubessern, welche ihr Vorgaenger gerade an den besten Stellen geuebt hat.
Frl. Sophie wird ihr Schwesterchen nicht minder lieben, wenn es durch Unwohlsein gehindert ist, ihr die Stuetze zu bieten, worauf sie Natur u. Verhaeltnisse anweisen. Sie ist doch nun theilweise auf sich selbst angewiesen, u. diese Unabhaengigkeit hat ihr vielleicht lange schon zur Bildung ihres Cha-rakters gedient. Fest stehen lernt man auch allein u. ohne aengstlichen Fuehrer. Die Sprache u. der Umgang der besten Freunde wirkt belebend u. belehrend, aber meist nicht so anhaltend wie gute Buecher, die nicht wechseln bei den Zufaellen des Lebens u. doch in Wort u. That sich gleich bleibend immer das Rechte treffen u. die Suessigkeit des Kernes nach Jahrhunderten nicht einbuessen. Es ist wahr, dass Jugend ohne geselligen Umgang kuemmerlicher gedeiht als in Gedankenaustausch mit gleichaltrigen Freundinnen, deren inniges Einverstaendnis durch gleiches Verlangen bedungen ist. Aber Linz ist gross u. sehr bevoelkert. Frl. Sophie, durch feste Grundsaetze u. ernste Schicksale gefeit, mit ihren Wuenschen nicht mehr in’s Leere hinein zu schwaermen, wird gewiss bald einen Ersatz finden, um eine Luecke auszufuellen, der ihr wieder Behagen fuehlen lassen wird.
Mir scheint, dass die liebe Gicht Linz wie unsere 3 Fluessestadt vorzugsweise heimsucht. Sie ist ein boeser Gast u. noch verdaechtiger, seit sie mit der Influenza auf so intimen Fusse steht.
Gruesse mir Deine lieben Frl. Schwestern u. sage ihnen meinen herzlichen Dank fuer die liebens-wuerdige Erinnerung an mein Namensfest.
Frau Tante v. Grimburg steht noch unverwischt in ihrer jugendlichen plastischen Schoenheit vor mir. Sie war so liebens- u. vertrauenswuerdig wie alle Glieder des Hauses „Schidenhofen“. Ich bitte Dich, mich ihr u. dem Hn. Heinrich von Schidenhofen, den ich vor seiner Abreise nach Botzen ken-nen lernte u. mich seiner sehr gut erinnere, hochachtungsvollst zu empfehlen. Wo ist die Frl. Tochter der Frau von Grimburg?
Die Neuzeit mit ihren geschraubten Anforderungen hat einen Misston in die haeusliche Sphaere gemischt, der erkaeltend auf die Verhaeltnisse wirkt. Man kann sich jetzt kaum eine Familie denken, welche ganz Herr ihrer unsinnig theuren Wohnung ist. Die salons sind hier ganz ausser Mode ge-kommen, weil man nur ein Wohnzimmer braucht u. ein zufaellig leerer Raum, dessen man dringend benoetigte, an einen Zimmerherren abgegeben wird, der den Aufwand eines leeren Raeumchens bestreitet. Salon u. Fremdenzimmer sind Chimère. Unser leerer Raum ist bestaendig von einjaehrig Freiwilligen okkupiert, die uns in fuehlbare Enge draengen u. uns selbst den Besuch von Verwandten nicht goennen. Das ist ein Alp, besonders wenn die Ferien beginnen u. Alles wandert u. den Schulstaub von den Schuhen wischen will. Geht es Euch in Linz besser, habt Ihr groessere Wohnun-gen u. anstaendig grosse Zimmer? Du, liebe Johanna, kommst wohl nicht in Ungelegenheit, da Du ein Plaetzchen auf dem Lande suchst, um den Stadtmoder hinter Dir zu lassen u. des Winters Werke zu zerstoeren.
Ich muss mit Gewalt daran denken, meinem Schreiben des Ungeniessbaren nicht zu viel beizufue-gen u. Dir den Geschmack daran nicht zu verderben. Ich freue mich schon auf eine liebe Antwort von Deiner Seite, die mir von Deiner besseren Gesundheit erzaehle u. alle Faeden fortspinnt, deren Ende ich Dir geboten. Lasse mir immer ein Fensterlein offen, durch welches ich Deinen lieben haeuslichen Kreis umfassend sehen und Euch darin waltend erblicken kann.
Sieh heiter in die Zukunft, liebe Johanna, Gott hat sie in Haenden, u. wenn der Himmel auch nicht frei ist von regenverkuendenden Wolken, so blitzt die Sonne nur umso schlauer u. schoener durch diese graue Draperie, deren Saum gegen Abend vergoldet erscheint, weil er allmaelig aufhoert, irdisch zu sein.
Lebe recht wohl mit Deinen lieben Frl. Schwestern u. Deinem Neffen, der ganz dazu geschaffen scheint, Eurem Leben die noetige Wuerze zu verleihen u. es auszuschmuecken zu einem hoeheren Zwecke.

Deine Dich innig liebende Pathin F. S.
Passau den 23. Mai 1891

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