top of page

96

22. 3. 1891

lf. Nr.

Aussteller

Franziska S.

Empfänger

Johanna A.

Liebe treue Johanna!
Wir haben uns zu nahe beruehrt in den verschiedenen Lagen des Lebens, als dass nicht ein ver-wandter Zug uns immer wieder vereinen wuerde u. die unwillkuehrlichen Pausen ausfuellen, die uns aus der Gesichtsweite bringen. Wie gerne u. zugleich schmerzlich erinnere ich mich des letzten Na-mensfestes, das ich in Eurem Familienkreise in Mauerkirchen feierte. Das Fest war bestimmt, dem unvermeidlichen Fatum unserer Trennung einen Namen zu geben. Es verging eine so lange Zeit, bis ich wieder einen heimischen Herd in einer Familie fand. Der wandernde Mensch macht sich auf Wechsel gefasst u. kaempft mit ihm, so gut es geht.
Herzlichen Dank fuer Deine Glueckwuensche, der liebe Gott gebe seinen Segen dazu!
Eines grossen Abschreibfehlers muss ich in Deinem vorletzten Briefe erwaehnen, woran Du freilich keine Schuld traegst. Ich habe naemlich eine 18jaehrige Freundin, die mich etwas ueber Wasser erhaelt. Mein Kurs ist nicht der beste und auf ein gewisses Ziel zuzuschreiten fehlt mir das Steuerruder. In Beziehung des Blumenmachens kann ich Dir nur sagen, dass ich das ABC nicht ganz durchstudiert habe. Frl. Edenberger hat aus dem Grund keine Rosen u. andere Kinder Florens bei mir gesehen, weil ich keine gemacht habe. Deine Rosen bilden eine Hauptzierde meines altjuengferlichen Zimmers u. sind u. werden nicht verdraengt. Frl. Edenberger macht nach meiner Angabe nur Schneeballen, Hor-tensien u. Nelken, Sonnenblumen. Weiter dehnt sich unser kuenstlerischer Kreis nicht aus. Deine Rosen haben schon viel Neid erregt, da ich sie nicht verschenke wie die anderen Sproesslinge meines Treibhauses.
Der Winter laechelt Hohn u. wischt sich gar nicht den Staub von den Fuessen, weil er mit Hilfe der Influenza nach Lust noergeln kann. Die Influenza macht sich auch hier breit u. vertheilt An-tipyrin. Auch ich habe davon genossen fuer 2 Auftreten eines Stickhustens, der dem Antipyrin wich, u. zwar sehr schnell. Die kalten Tage werden bei Euch ebenfalls aufgetreten sein, welche sich schnell mit der Influenza verbruederten u. ihre Kameradschaft aufdringen.
Ich hoffe, liebe Johanna, dass Ihr in der neuen Wohnung die Gunst eines milderen Klimas ge-niessen werdet, obwohl sich nicht alles fuegt, wie man’s wuenscht. Man waechst in eine alte Wohnung so hinein, dass man hie u. da die Wurzeln schmerzlich herausziehen muss u. in die neue nicht mit voller Lust einziehen kann.
Gott Lob, dass die Eisgaenge u. die Ueberschwemmung doch nicht so schrecklich waren, als man sie zu fuerchten Ursache hatte. Bei uns kommt die Ueberschwemmung immer dreifach u. der Inn ist im-mer der ungeberdigste, der sich die Herrschaft ueber seine Damen ertrotzt.
Ich bitte Dich, liebe Johanna, dem Frl. Edenberger meine Karte zukommen zu lassen. Ich bringe es zu keinem ordentlichen Briefe an sie, weil unsere Beziehung zwar sehr freundlicher, aber doch zu unbedeutender Art sind, als dass ein Austausch unserer Gesinnungen nicht versickern wuerde.
Besuchst Du, liebe Johanna, das Theater? Ich komme schon mehre Jahre nicht mehr hinein, ob-wohl dies mir ein Vergnuegen waere, das ich am schwersten entbehre. Wir wohnen weit davon u. ueber die Abendstunden kann das Alter am Wenigsten verfuegen. Meine Geistesfrische laesst die Blaetter haengen, trotzdem ich meine 18jaehrige Freundin habe, welche die faulen Triebe etwas beschneidet. Sie ist die noch einzige Tochter sehr beschaeftigter Eltern u. kann mir ein wenig Zeit widmen. Sie ist weit ueber ihr Alter gescheidt u. unterrichtet u. von gaenzlich unverdorbener Natur. Sie sagt nur, was sie fuehlt, u. hat ein Urtheil, worueber man staunen muss. Ich fuerchte sehr, dass sie bald an einen fremden Herd gerufen werde, weil sie kuerzlich geerbt u. die Passauer entschieden eine Fuehlung dafuer haben. Ihre zwei Schwestern sind an Professoren verheirathet u. fuer die Dritte wird sich bald einer finden. Ihre Schwestern waren sehr schoen; die Dritte ist nur sinnig, ganz ohne Gefallsucht u. hat nie Absichten. Sie hat keineswegs das Glueck schnell anzuziehen, stoesst nicht selten ab, was ihr ganz gleichgiltig ist. Natuerlich ist dieser Zustand ephemer u. wird bald eine Aenderung erleiden. Ich habe Dir bereits zu viel davon gesprochen, da Du sie doch nicht kennst u. ein Interesse fuer sie zu wecken auch ganz unnuetz waere.
Wenn Du mich, liebe Johanna, sehen wuerdest, wuerdest Du bald die Wahrnehmung machen, dass meines Geistes Frische nur das fluechtige Sonnenlaecheln eines Wintertages ist, der sein Aufleuchten bald in Daemmerung u. Nacht begraebt. Ich war immer Enthusiastin, die Welt bleibt immer gleich schoen, trotz ihrer Maengel u. ihres Wehs, das haelt uns lange ueber Wasser, man muss sich nur des Ruderns nicht so bald begeben und sich die Kunst nicht unnuetz schwaechen.
Ich moechte Dir hier ein Raetsel beifuegen, das, wenn Du es nicht schon kennst, von Dir seine Auf-loesung erwartet.
Ich will Dich nimmer laenger warten lassen u. schicke den Brief ab. Wir haben Mission hier, Ka-puziner aus allen Gauen Baierns erwecken die Gewissen der Passauer. Es sind lauter gute Redner, aber ich kann keinen hoeren, da die Kirchen fuer mich noch zu kalt sind. Seit drei Tagen ist schoenes Wetter, aber die Influenza kehrt sich nicht daran. Das Kleidermachen habe ich schon seit ein paar Jahren aufgegeben. Die Mode will nicht von den alten Haenden gehandhabt sein, sie verfertigen nur Karikaturen.
Entrichte meine Gruesse u. Empfehlungen ueberall hin, woher sie mir entgegen kommen, besonders an Deine Schwestern u. Deinen Hn. Cousin.
Lebe wohl, liebe Johanna. Ehe Du in die Sommerfrische gehst, wirst Du mir wohl noch schreiben.
Deine Franziska Str.
Den 22. Maerz

bottom of page