top of page

94

21. 11. 1890

lf. Nr.

Aussteller

Franziska Strobl

Empfänger

Johanna A.

Meine liebe Johanna!
Haette ich dem Drange meines Herzens folgen koennen, so waere Dein lieber Brief laengst beant-wortet. So aber muss man den taeglichen Ereignissen und Stoerungen Rechnung tragen u. eine guenstige Stunde abwarten, die es gestattet, etwas laenger bei dem lieben Gegenstande zu verweilen, den man besonders ehren will u. nicht kurz abfertigen.
Dein Brief gibt mir die suesse Befriedigung, dass Du mich so wenig vergessen hast wie ich nie auf-gehoert habe, an das Haus „Anthoine“ mit Liebe und Verehrung zu denken. Du haettest sonst nicht alle Momente so treu u. gewissenhaft aufgefasst u. mir berichtet, wenn Du nicht voraus-setztest, dass mich alles aufs Lebhafteste interessirt, was Dir Schmerz oder Freude macht. So sind in wenigen Worten so viele Jahre durchmessen, welche in die tiefen Schatten der Zeit einige Lichtbilder zeichnen u. ihren Reflex gerade auf dunklem Grunde effektvoll hervorheben.
Den Tod Deiner so sehr verehrten Eltern habe ich noch durch die ungestoerte Korrespondenz er-fahren, aber nach dem Jahre 66 hoerte jede Beziehung auf, da der Kriegstumult alles auseinanderriss und ich weder von Emilien noch von Euch etwas erfahren konnte.
(Liebe Johanna, ich bitte Dich um Nachsicht, dass ich den Briefbogen verkehrt nahm und das Geschriebene nicht wieder kopiere.)
Vor allem moechte ich Dich darauf aufmerksam machen, dass ich mich recht gut erinnere, dass Du mich schon als Kind gedutzt hast u. nur der Autoritaet der Lehrerin wegen eine feinere Respektslinie gezogen wurde, die mit meinem Weggang von Euch wieder verschwunden waere, wenn wir einander geschrieben haetten. Ich bedinge also die intime Ansprache, denn ich kenne Dich in derselben besser.
Du bist jetzt das Familienoberhaupt, denn Marie ist um ein Jahr juenger, und Sophie kam, als ich Euch verliess. Du wirst sorgen und schaffen, wie Du es von Deiner engelgleichen Mama gelernt hast, welche ihre Umgebung gut leben hiess, waehrend sie entbehrte. Gott segne ihr Andenken, meinem Herzen ist sie heilig!
Frau Louisens schwaechliche Gesundheit bedaure ich sehr, denn eine Frau und Mutter bedarf ihrer vor allen. Sie hat Dir u. Deinen Frl. Schwestern ein schoenes Amt verliehen, indem sie euch ihren aeltesten Sohn anvertraute. Du schreibst so zaertlich ueber Deine Schwester Sophie, dass es mir Leid thut, sie nicht zu kennen. Wenn sie das Erbtheil ihrer Mama angetreten hat und damit in diesem Leben hauszuhalten gelernt hat, so wird sie ihr Vorbild erreichen und ebenso bescheiden gluecklich sein, wie sie es war.
Du kannst Dir denken, liebe Johanna, dass ich mir ueber Dein aeusseres keine Vorstellung machen kann, obwohl ich Dich und Deine Schwestern noch als Kinder vor mir habe. Frau Louisens Photo-grafie zeigt sie mir als Gouvernante in Salzburg, ihrem Bilde von damals noch ganz getreu, aber von Dir sah ich nie eine Photographie. Ich bitte Dich also, mir die Meinige umzutauschen, u. wenn Deine Frl. Schwestern welche beilegen wollen, so werde ich mit Naechstem meiner Pflicht nachkommen.
Sophie ist vom Schicksal nicht verweichlicht, u. was ihr das Leben bringt, muss sie alles zahlen u. abringen. Das bringt Seelenstaerke und Charakterfestigkeit, welche sich nicht auflehnt gegen die Fue-gungen des himmlischen Vaters, der nur verwehrt, was den Starken im Kampfe unterbrechen wuer-de, denn die Kraft waechst nicht in der Ruhe. Das gibt die stillen Heldinnen in unserem Geschlecht, die so harmlos einfach erscheinen, weil fuer sie die Schoepfung nichts Unbedeutendes schafft u. sie allem Kleinen Geltung verschaffen. Ihr Tun und Wirken spinnt sich bei truebem Lichte so ungesehen fort, aber sie fertigen dabei ein schoenes, glattes Gewebe von stillen Tugenden, das Farbe haelt und sich nicht abnuetzt.
Wie sehr hat der Tod Eure Familie gelichtet! Die gute Grossmama musste noch so viele begraben sehen, ehe sie selbst dem allgemeinen Laufe anheim fiel. Es ist ein schwerer Antheil des Alters, wenn man wie im Kriege Alles um sich herum fallen sieht und stets gemahnt wird, sein Haus zu bestellen.
Liebe Johanna, sei wo moeglich fleissiger im Briefschreiben als ich. Du stehst noch auf ueppigerem Boden, der noch gruent und blueht, aber ich bin schon so viel wie abgemaeht unter Stoppeln und Heu verborgen. Auf meinem Felde blueht kein Bluemchen mehr, aus dem eine hungrige Biene noch etwas Honig schluerfen koennte.
Wer mir Deine Adresse zuwege brachte, kann ich Dir nicht sagen, weil ich mich an eine Beam-tenswittwe wendete, deren Gatte vor etwa 10 Jahren hier an der Staatsbahn diente. Die Frau ist verwandt mit Fr. Dr. Bernhuber. Als Wittwe ist sie nach Salzburg gezogen und besucht jaehrlich die Bekannten in Passau. Bei ihrem letzten Besuche sagte mit ihr Toechterchen, dass sie nach Linz gehe, was ich eilig ergriff und sie bat, Erkundigungen einzuziehen ueber die von mir aufnotirten Namen. Das Fraeulein heisst Maria Prohaska u. haelt sich bei ihrer Tante auf, deren Namen ich nicht kenne.
Kennst Du nicht eine Anna Edenberger, welche juengst hier war, verwandt ist mit unserm Hause und die ich nun ebenfalls kenne. Die Eltern haben ein Papiergeschaeft u. vor mehr als einer Woche ist die Tante gestorben, welche sie hier oefter besuchte. Es ist dies die reiche Marie Pummerer, von welcher sie betraechtlich erben.
Nun, liebe Johanna, gruesse mir Deine lieben Frl. Schwestern, nimm meinen Dank fuer deine Lie-be und Anhaenglichkeit u. fahre fort, mit noch Weiteres zu berichten. Der Anfang des Winters und die nahe Weihnacht beschraenkt meine Zeit, sonst haette ich mich mehr geliefert.
Gott sei mit Dir u. Deinen Angehoerigen!
Deine treue P. Franziska Strobl
Passau den 21. Novembr. 1890

bottom of page