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68

3. 4. 1861

lf. Nr.

Aussteller

Mutter Louise, Vater Anthoine

Empfänger

Johanna A.

Liebe Johanna!
Du kennt mich schon als eine saumselige Briefschreiberin von alten Zeiten her; die vorletzten Briefe mit deinem guten Zeugnisse haben wir erhalten und wir sehen daraus deinen Fleiß und Fortschritte, was uns recht viel Freude machte, und hoffen, daß du auf dieser bahn mutig vorwärtsschreiten wirst. Ist es halbwegs möglich, die Reisekosten zu den Ferien bestreitten zu können, so werden wir euch und uns das Vergnügen des Wiedersehens nicht vorenthalten.
Für deine liebevollen Glückwünsche zu meinem Geburtsf. und deine netten fleißigen Arbeiten danke ich dir vielmals, damit hast du mich angenehm überrascht. Es gibt für mich keine größere Freude als Euch beide stets gesund und zufrieden zu wissen. Möchte der Himmel Euch fortwährend damit segnen! Abgesehen von dem, daß der Vater immer mehr oder weniger leidend ist, kömmt noch Carl dazu. Es kömmt mir fast vor, als wenn sich ein Krankheitsstoff auf die Füße abgelegent hätte, die verursachen ihm viele Schmerzen und sind auch stark angeschwollen, beonders die Gelenke. Dann hat er wieder Kopfschmerzen oder die Hand, kurz, weiß der Himmel, was er ausbrütet. Der Doktor achtet diese Erscheinungen gar nicht, er sagt einfach, es vergeht wieder. Marie hat häufig Kopfweh, mitunter Zahnweh auch. Ich Blut ist im Frühjahr jedenfalls immer irritiert. Sie darf sich nur ein bißchen ersitzen, ist sie gleich confus etc.
Die arme Klementine ist am 14. März von all ihren Leiden befreit worden. Von denselben Augenblick in Folge der Gemütsbewegung erkrankte Marie, bekam heftige Anfälle von Krämpfen, die wohl wieder beschichtigt werden, allein sie ist so schwach und niedergedrückt, zudem fehlt es ihr unzweifelhaft auch auf der Lunge. Ein wahrer Jammer! Die gute …..? erträgt all ihre Schicksalsschläge mit einer bewunderungswürdigen Seelenstärke.
Papa geht es heute wieder besser, muß aber im Bette bleiben. Gestern ging er zu viel hin u. her, schrieb wieder nach Lauffen das Versäumte herinzubringen. Auf einmal gegen 2 Uhr nachmittags trat eine Verschlimmerung ein, sogar ein Delirium; doch die Nacht war wieder gut. Marie(?) hat auch die Grippe sehr stark, bei Grimburg ist alles gesund. Alle Verwandten grüßen dich vielmals.
Lebe wohl, liebe Johanna, Gott schütze Dich!
Innig umarmt dich deine Mutter Louise.
Die Geschwister grüßen Dich vielmals u. viele Bußerln von Sofichen.
Wenn du Frl. Fani noch nicht geschrieben hast, mußt du es so bald als möglich bewerkstelligen.

Liebe Johanna.
Die Mutter hat dir bereits so ziemlich alles geschrieben, so daß mir nichts zu erwähnen übrig bleibt. Wir alle wünschen recht sehr, Dich in der Ferienzeit hier zu sehen, allein die ausgiebigste Stimme dabei hat vor allem mein Finanzminister, dem das ebenso geht wie dem Staatsfinanzminister: es ist immer zimlich leer im Säckel. Wir wollen noch mit den Entschlüßen warten. Wenn Du nur stets gesund bleibst, liebe Johanna, das andere alles ist leichter zu ordnen, zu ertragen.
Gib gut acht auf Deine gesundheit: gewiß trage ich dir Fleiß, Ordnung u. Lernbegierde auf, gewiß habe cih Dir oft gesagt u. geschrieben, daß du jede Gelegenheit ergreifen sollst, etwas Nützliches u. Gutes zu lernen – allein dieses muß doch immer im Einklange stehen mit dem bestreben, gesund zu bleiben u. auch keiner anständigen Gelegenheit, sich zu erholen, auszuweichen. Bewegung rathe ich dir sehr an, in deinen Jahren u. mit deinen Anwandlungen zur Bleichsucht ist es sehr gerathen.
Lebe recht wohl, liebe Johanna.
Noch will ich dir bemerken, daß du in deinen Briefen an alle Freunde – ohne Ausnahme – sehr behutsam sein mußt. Schreibe außer deinen Eltern niemandem deine Gedanken, Entschlüße u. die nächsten Details. Es wird gleich alles herumerzählt, dann verdreht, erweitert, entstellt.
Nochmals mein Lebewohl. Gott segne dich.
Dein treuer Vater Anthoine.
3 Agt 861

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