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18. 2. 1858

lf. Nr.

Aussteller

Fanny

Empfänger

Johannchen A.

Liebes Johannchen !
Die Befuerchtung, dass ich Dir graemen moechte, ist ganz grundlos. Du hast also Deinet- wie meinetwegen nicht zu sorgen, dass ich fuer etwas strafen moechte, was ich mit Dir zugleich begehe. Meine Korrespondenz liegt sehr, wenn nicht rettungslos darnieden, so dass sie nur ein Zeichen von sich giebt, wenn sie unabweislich gezwungen ist. Glaube nicht, Johannchen, dass es mir nicht sehr lieb ist, wenn Du mich zwingst, Deinen freundlichen Briefchen zu antworten, nur musst Du den Massstab meiner Liebe zu Dir nicht nach meinen Briefen berechnen, wodurch Du Dich selbst verkuer-zen wuerdest. Ich denke viel und oft an Dich, mein Wirkungskreis fuehrt mich ja immer auf Dich zurueck u. ich bin nicht zu beschaeftigt, um Dich hierin nicht reich bedenken zu koennen.
Allein ich bin von einem wahren Muehlrad von Kindermund umgeben, der es mir beinahe immer unmoeglich macht, mich schriftlich mit Jemand zu unterhalten. Des Abends, wo das Muehlraedchen stillsteht, hab‘ ich zu viel Muehe beim Kerzenlicht zu schreiben, auch fuellen wir die Abende mit Lektuere en famille aus, also fehlt es mir immer an Musse zum Schreiben. Fuer Dich ist es eine nue‡liche u. hoffentlich angenehme Uebung, mir fleissig von Dir u. Deinem Familienkreise zu erzaehlen, der mei-nem Herzen keineswegs fremd geworden, noch je werden wird.
Ich bin es gewohnt, liebes Johannchen, dass Du mich schriftlich immer Du nanntest, u. ich bitte Dich, es ferner zu thun. Waere meine hofmeisterliche Stellung nicht dazwischen gekommen, die uns diesen Zwang auferlegte, so haetten wir nie eine andere als diese vertrauliche Rede ausgetauscht. Und nun streiche das Sie aus dem Woerterbuche des Gefuehles, das Du fuer mich in Deinem Herzen hegst.
Deine Schrift ist zierlich u. fleissig, dass ich meine Freude daran habe. Ich lese darin den Beweis, dass Du in jeder Beziehung Dir Muehe geben wirst, Deinen Eltern u. Dir die Genugthuung des Fortschrittes zu geben.
Gruesse mir alle Bekannten in Bergham u. Leonding, welche beide in freundlichster Erinnerung vor mir stehen. Habt Ihr diesen Winter viel Schnee gehabt? Wir hatten beinahe keinen, erst seit ein paar Tagen liegt eine ganz duenne Decke.
Gruesse u. kuesse mir Deine Geschwister u. gedenke gerne Deiner
Fanny

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