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30. 6. 1857
lf. Nr.
Aussteller
Fanny
Empfänger
Johanna A.
Meine liebe Johanna !
Die Zeit waehrend unserer Trennung ist in kunterbunten Erscheinungen an mir voruebergezogen, so das ich alles ignorieren muste, was auser mir vorging, wenn es auch mein volles Interese in Anspruch nahm.
Die Ereignise in Deiner Familie haben der Reihe nach mein lebhafte Theilnahme auf sich gezogen, u. die Entfernung ist nicht weit und lang ge-nug, als das ich mich nicht im Geiste bei jedem Feste haette einfinden koennen. Ich bitte Dich, Deinen verehrten Eltern meine Gluechwuensche ueber die Ge-burt Deines Schwesterchens und bei Gelegenheit ihres Namensfestes zu entrichten. Ich bin noch nicht heimisch genug in Boehmen noch auf dem Flech Erde, den ich bewohne, um schon eine ordentliche Korrespondenz zu fuehren, und ich bin recht froh, wenn Du es uebernimmst, die Mittelsperson zu machen, welche jenen Gruese od. Nachricht von mir gibt, die sich etwas fuer mich interesieren.
Es ist recht Schade, liebe Johanna, das Du nicht bei mir bist, du haettest hier einen weiten Spielraum fuer Deine tanzlustigen Beine. Ich denke im-mer an Dich, wenn meine Zoeglinge ihre Milchgeschaeft besorgen. Das waere ein Geschaeftchen fuer Dich. Jede hat eine Kuh, die beste im Stalle, welcher, das andere Vieh abgerechnet, ueber 50 Kuehe enthaelt. Ihre Milch bekommen sie in eigenen Geschirren, sie rahmen sie selbst ab oder ruehren Butter, ganz nach ihrem Belieben. Da der Erloes ihr bestimmtes Monatsgeld ist, so ver-fahren sie damit recht klug und vorsichtig. Indian Huehner, Gaense und En-ten sind in solcher Menge hier, das man sie nicht zaehlt. Fuer dergleichen Ge-nuese waerst Du viel empfaenglicher als ich; Du kaemest gar nicht zur Besinnung vor Arbeit u. Sorgen.
Wie befinden sich Deine verehrten Eltern u. Geschwister? Sophiechen wird recht liebenswuerdig sein, erzaehle mir doch davon?
Wie ist Deine Zeit eingetheilt? Lernst Du mit Marien recht fleisig? Besucht Euch Karl u. Louise recht oft? Deine Freundin Amalie wird Dir noch recht zugethan sein. Gruese mir deren werthe Eltern. Entrichte auch meine Empfehlung an den hochwuerdigen Herrn Dekan u. den hochwuerdigen Hn. Katecheten.
Wie hast Du Deinen Namenstag zugebracht? Bist Du immer recht freundlich u. gefaellig gegen alle, die Dich umgeben, u. huetest Du recht sorgfaeltig die Beweglichkeit Deines Gemuethes?
Moegen Gott u. seine Engel Dich und die Deinigen behueten!
Deine Fanny