30
6. 3. 1849
lf. Nr.
Aussteller
Johann A.
Empfänger
[Statthalterei]
Gedenkschrift über die Ereigniße,welche sich bei der am 5ten u. 9. März stattgefundenen Verlosungen im Markte Mauerkirchen im Innkreise zugetragen haben
Der 5. März war zum Losungstage bestimmt. Die Gemeinden des Beirkes und aller Betheiligten waren durch die Obleute der Behteiligten gehörig verständigt. Die zum Beginne der Verlosung anberaumte Stunde – 8 Uhr – war vorbei, als ich mich in Begleitung des Kanzellisten Ciarelle u. mehrerer Vertrauensmänner von dem Pfleggerichtsgebäude in das auf der anderen Seite des Platzes befindliche Frühstorfer Gasthaus, in dessen Sälen die Berlosung vor sich gehen sollte, verfügte.
Nachdem die anwesenden Vertrauensmänner, 22 an der Zahl, im Commissionslokale vorgeschrieben ware, wurden – wie es in dem beiliegenden Protokolle A ersichtlich ist, die Verzeichniße II u. III, die Loszetteln u. das Alphabet vorgelegt. Die Anzahl der Zettel wurde mit den Listen kontrollirt. Es verging darüber eine geraume Zeit, in welcher sich der 2. Saal füllte.
Die gezählten 141 Lose der I. Altersklasse wurden von den Vertrauensmännernselbst zusammengerollt u. in einen großen weißen Suppentopf gelegt. Nachdem Ramseder, Bürgermeister von Uttendorf, sein Alter auf 60 Jahre angab und kein Vertrauensmann ein höheres Alter angab, wurde das Alphabeth aufgelegt, dann die einzelnen Lettern (a 2 Zoll Höhe) umgewendet u. gemengt.
Ramseder zog den Buchstaben A. Sofort begann der Namensaufruch mit Aigner Anton, der das Los Nr. 37 zog u. hierauf gemessen wurde. Aigner Johann meldete sich, ungeachtet wohl mehr als 400 Mann im Saale waren u. der Name mehr als 3 mahl gerufen wurde, nicht. Für diesen u. die beiden Nachfolger, deren jeder mehr als 3 mahl gerufen wurde, meldete sich niemand, u. die Obleute zogen an ihrer Stelle. Die hierauf gezogenen sieben Männer zogen alle selbst die Lose. Jeder Vorgerufene wurde nach der Losung gemessen. Soweit war alles in Ruhe u. Ordnung.
Joh. Bruckbauer war oder stellte sich bei der Messung betrunken. Es entstand plötzlich u. durch nichts hervorgerufen ein Tumult, welcher sich von Sekunde zu Sekunde steigerte. Jede Möglichkeit zur Verständigung war dahin. Es war nicht mehr das Gerede oder Geschrei von menschen, es war unartikuliertes, wüstes Gebrüll. Der Sprache fehlen Worte, um dieses zu bezichnen.
Der Haufe – er dürfte wohl bis zu 5 – 600 angewachsen sein, drängte zu dem großen Tische, um den ringsherum die Commissionsmitglieder saßen. Ich saß mit dem Rücken an der Mauer, hatte also den Überblick über beide Säle u. das fürchterliche Wogen in denselben. Einzelne schrien, indem sie sich an die Tafel möglichst in meine Nähe drängten: „Die in Nr. III müßen mit uns ziehen.“ Ich versuchte die Verständigung, daß die Leute ohnehin berufen wären, auch Vertrauensmänner schrien dies der Masse zu. Daß die Leute aus der Liste III ohnehin berufen waren, ist aus den Kundmachungen jedem bekannt gewesen.
Unterdessen hatte sich das Geheul in unbeschreiblicher Weise gesteigert. Ich sah nur wutentbrannte Gesichter, die Mehrzahl bleich. Dem Gerichtsdiener Ott, einem altgedienten Feldwebel, u. dem Gehilfen Kefer gebe ich das Zeugniß, daß sie mit unaussprechlichem Muthe u. mit der ruhigsten Besonnenheit die Massen abzuhalten versuchten , welche den Tisch hinwegzureissen bemüht waren.
Mehr als ¼ Stunde mochte so vergangen sein. Ich sah dem Augenblick, erdrückt u. ermordet zu werden, entgegen. Gott sie Dank, die Ruhe des reinen Herzens hat mich nicht verlassen. Ich hatte die sämtlichen Papiere gesammelt u. übergab diese dem Pfarrobmann Aichinger zur Rettung. Jemand ergriff das Tintenfaß, u. im Begriffe, es auf mich zu schleudern, wurde er von einem Danebenstehenden beim Arme gefangen u. ihm das umgeschüttete Gefäß aus der Hand gewunden. Ich benützte den Augenblick, dasselbe auf eine neben mir stehende Bank zu legen.
Während dieses geschah, warf jemand mit dem gefüllten Streusanbehälter auf mich, ohne mich zu treffen. Man wollte Stühle auf mich schleudern, es wurde von anderen gehindert. Ich war allein. Die Wahlmänner waren entflohen, der Zugang zu mir stand offen u. einzelne, für mich günstig Gesinnte drangen auf mich ein, mit zuschreiend: „ daß sie sich von mir alles gefallen lassen, die Bauern dürfen aber nicht abstellen“.
Diesen Augenblick benutzte ich, den Abgang ins Werk zu setzen. Sehend, daß es dem Gerichtsdiener, dem Gehilfen u. einigen Poliziedienern unmöglich sei, die Massen ferner von mir abzuhalten, u. wahrnehmend, daß diese im ersten Saale dünn geworden, endlich erkennend, daß längeres verweilen nur mit meinem Verderben enden könne, trat ich langsam, ruhig u. festen Blicks mitten unter die Leute, vor jedem vorbeitrettend, der im Wege stand. So kam ich in den ersten Saal, wo wohl 50 Männer mit stöcken standen, heulend und schreiend. Jemand schlug die Saalthüre zu, offenbar in der Absicht, mich zum Gefangenen zu machen. Die Thür wurde jedoch von Ott geöffnet, der rückwärts zur Rechten ging, u. so kam ich durch das von Leuten mit Stöcken überfüllte Vorhaus zur Stiege.
Ein Polizeidiener ging vor mir, Kefer rückwärts, jedoch hatte er seinen Rücken an den meinen gelehnt u. wehrte nachdrängend die Massen ab. So kam ich, wohl sehr vielfach bedroht, aber unberührt, durch das Vorhaus in das Freie, wo ich über den Platz dem Pfleggerichtsgebäude langsam zuging. Ott u. Kefer erhielten hier von einigen Leuten Sukkuers. Beide Männer wurden so wenig als ich verletzt oder berührt. Leider sind jedoch einzelne Individuen leicht, der Polizeidiener Ruprecht ist nicht unbedeutend verwundet worden. Dieses ist der wahr erzählte Vorgang.
Dieses betrübende Ereigniß hat nach meiner Ansicht drei Veranlassungen u. zwar:
1) Der Geist des Widerstandes u. der Empörung ist überhaupt rege geworden.
2) Die Autorität der Behörden ist sistematisch untergraben, das Vertrauen auf den redlichen Willen der Beamten u. Amtsvorstände zerstört worden.
3) Dieses vorausgesetzt, bedurfte es nur noch eines so schwankenden Patentes, um die Ruhe zu stören.
Der Umstand, daß Bauern mitunter Obleute für ihre Söhne, ihre Knechte, Wirtschafter u. so fort zeithliche Befreiungen in Anspruch nahmen, erbitterte viele andere. Ich sage nicht, daß bei der Prüfung der Reklamationen mit Partheilichkeit zu Werke gegangen worden ist – nein, die Gesuche vielmehr strenger, als es sonst von dem Kr[eis]A[mte] geschah, zensuriert – allein es genügt zu sagen, daß die zeitliche Befreiung dennoch 164 Individuen zu statten kam, obwohl diejenigen, für die weniger Motive vorhanden waren, mit ihren Begünstigungsgesuchen abgewiesen wurden. Rechnet man noch dazu, daß Viele durch Kauf u. gerechtfertigte Übernahmen eximirender Realitäten von der Militärwidmung ganz frei sind, so zeigt sich, daß Neid u. Bevorzug, vermeintliche Gunst u. andere Leidenschaften in das Spiel kommen mußten.
Wohl voraussehend, daß zwischen den Leuten, welche als zeitlich befreit in der IIIten Liste stehen, u. den in der Liste II verzeichneten Individuen Neid u. Grimm bestehe, hatte ich verfügt, daß die Leute aus der Liste III erst um 1 Uhr eintreffen sollten, bis wohin ich im günstigen Falle die Losung mit den Leuten aus der Liste II hätte beenden können. Ein Zusammentreffen der Leute hätte vielleicht traurige Folgen gehabt.
[gestrichen] Daß es auf eine Schlägerei abgesehen war, liegt klar am Tage. Fast alle hatten Stöcke verborgen, Schlageisen, Messer, einige sollen mit Pisotlen bewaffnet gewesen sein. Wirklich fanden Verwundungen statt. Nach meinen Wahrnehmungen hat sich am exzessivsten ein gewisser Schachinger aus der Pfarre Wenig benommen, wenigstens in meiner Nähe.
Ich schließe diese Darstellung mit dem Wunsche:
a) Daß alle gesetzlichen u. zeitlichen Befreiungen von der Militär Widmung aufhören möchten,
b) daß der stattgehabte Exzeß dere inzige u. letzte im Bezirke Mauerkirchen bleibe.
c) Endlich daß eine künftige Intervenierung den redlichen Behörden u. Beamten Schutz gebe, nicht aber Hohn u. der Vorwurf öffentlich ertheile.[Ende Streichung]
6. März 1849
Anthoine, Pfleger
[die 3 Bögen bläulichen Konzeptpapiers sind durch gesiegelten Faden verbunden]