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20. 11. 1845

lf. Nr.

Aussteller

Carl A.

Empfänger

Marie A.

Lemberg am 20. November 1845
Liebe gute Mimi!
Wieder ist eine lange Zeit verstrichen, ohne daß wir uns schrieben. Im Lauf des Sommers erhielt ich einen Brief von Johann u. unlängst einen von Schwester Theres. Nur durch diese, von einem halben Jahr zum andern erfolgenden Mittheilungen stehe ich noch mit Euch allen in Verbindung. Das sollte nicht sein, was ich so gut einsehe wie jeder von Euch. Allein es ist nun so, und wir sind noch alle noch wackere Correspondenten im Vergleich zu Ignatz, der mir gar keine Briefe mehr beantwortet, daher zwischen uns der Briefwechsel gänzlich stockt.
Nun sind es auch bald zwölf Jahre, daß ich von Euch schied, und es ist klar, daß wir alle in dieser Zeit nicht bedeutend jünger geworden. Indeß wir leben noch, und wie ich zeitweiß höre, seid Ihr noch alle ziemlich gesund, was ich gottlob auch noch in erklecklichem Maße bin. Ich mache noch immer alle unsere Märsche, Maneuvers-Exercitien u. sonstigen Faxen ohne Anstrengung mit, worüber ich mich selbst schon oft gewundert habe. Ich bin nun an der Reihe, endlich Major zu werden. Ich bin der älteste Hauptmann im Regiment, ein Stabsoffizier zieht ab und sowohl vom Regiment – das übrigens gegen 100 Meilen von hier liegt – als auch von der hiesigen Generaliät habe ich die schönsten versprechungen. Wenn man jdoch – so wie es mein Fall ist – aller Protektion entbehrt, so muß man bei allen Versprechungen nie mit Zuversicht hoffen, indem es immer möglich ist, daß der Hofkriegsrath einen von den unzähligen anderen Protegeés befindet. Indes, die nächste Zukunft wird es lehren.
Für den Fall, daß ich befördert werde, weiß ich nicht, wohin es mich trifft, denn es steht auch ein Bataillon unseres Regiments hier im Lande u. zw. In Czernowitz. Eine wesentliche Schattenseite dieser Beförderungen ist immer die, daß sie mit ungeheuren Depensen verbunden sind, als da sind: Equipierung, Anschaffung der Pferde, der verschiedenen Reitzeuge, dann die Reise, die man gewöhnlich machen muß und für welche manchmal der Aerar keine Entschädigung gibt, zumahl sie infolge einer Beförderung gemacht werden muß. Allein, was muß sich der Mensch nicht alles gefallen laßen, um es weiter zu bringen und einstens eine beßere Pension zu bekommen. Auch das ist bedeutend, da das Militaire hinsichtlich der Pension im Vergleich zum Civile im Nachtheil steht und nach selbst 40jähriger Dienstzeit nicht so wie jener die ganze Gage als Pension erhält.
Theres schreibt mir, daß Fritzi geheirathet hat, was mich herzlich freut. Sie hat mir die ganzen 4 ½ Jahre lange Bekanntschaft die wenigen Aussichten, den unverhofften Terno, die gleich darnach erfolgte Verbindung ect umständlich beschrieben und ist nur zu wünschen, daß es den Leutln recht gut geht. Wenn nur die anderen zwei Mädchen auch eine Versorgung fänden.
Johanns Familie mehrt sich alljährlich, aber lauter weibliche Sproßen; wer Teufel soll denn den edlen Namen fortpflanzen, wenn keine Knaben kommen? Dann wird sich der alte Carolus noch ins Zeug werfen müssen. Du lachst und denkst: nur bald, sonst könnts zu spät werden!
Es ist hier eine Fr. v. Hartmann, Mutter einer gewißen Majorin Gf. Revertera u. Wittwe eines Regierungsrathes. Sie kam vor etwa anderthalb oder einem Jahr nach dem Tod ihres Mannes hierher und kommt auf alle recht gut; auch die Schwägerin, die ich grüßen lasse, und wenn es wahr ist, daß sie so fromm und andächtig geworden, so magst Du mich ihrem Gebeth empfehlen. Diese Revertera’s haben sich heuer in der Gegend bei Lambach angekauft u. werden wohl mit der Zeit übersiedeln.
Die Tante Kornblum schreibt mir alle Jahre einige Male die lamentablesten Briefe, die ich ihr stets mit kleinen Einschlüßen beantworte u. die freilich nicht in namhaften Summen bestehen. Die gute Frau scheint sehr hilfsbedürftig zu sein.
Ich hätte dem Johann seinen letzten Brief schon beantwortet, allein ich will die nächsten Ereigniße abwarten, vielleicht bin ich im Stande, dieser guten, teilnehmenden Seele auch einmahl etwas Gutes von mir schreiben zu können, was ihn und Euch alle gewiß herzlich freuen möchte, wovon ich überzeugt bin.
Nun, meine liebe gute Mimi, nehme ich wieder Abschied von Dir. Lebe glücklich und sei überzeugt, daß, wenn ich auch nur selten etwas von mir hören laße, ich Euch allen von Herzen gut bin und mit der innigsten brüderlichen Zuneigung liebe. Gedenke sohin in Liebe Deines aufrichtigen alten
Bruders Carl

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