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13. 11. 1844

lf. Nr.

Aussteller

Carl A.

Empfänger

Marie A.

Geliebte Schwester!
Ein Schreiben unseres Bruders Johann vom 31. Oktober setzt mich in Kenntnis, das er von Dir die Nachricht erhalten, dass der Übelstand der Gesundheit unserer guten Mutter bereits den höchsten Grad erreicht hat und leider ein eine baldige Auflösung erwarten lässt. Es ist nicht nötig, Dir den Schmerz zu schildern, den diese Nachricht erregen musste, und obgleich es eine alte und natürliche Sache ist, dass Eltern ihren Kindern vorangehen, obschon mich das hohe Alter unserer Mutter, ihre immerwährende Kränklichkeit nichts anderes als ein baldiges Ende erwarten ließen und ich mithin schon lang darauf vorbereitet bin, so wird nichtsdestoweniger die Nachricht Ihres Hintrittes immer sehr schmerzhaft für mich sein. Aber hier ist es Pflicht des Menschen, in der Religion und Vernunft den Trost zu suchen und die alles besiegende Zeit muss dann das ihre tun.
Daß Du, liebe Schwester, für diesen Fall in jeder Hinsicht am meisten leidest, ist nur zu wahr. Aber selbst darin, daß Du die Leidensgefährtin und treue Pflegerin unserer Mutter durch so viele Jahre ihrer Leiden warst, erwachst für Dich ein Trost, den wir anderen respektieren müssen. Dafür ist es uns auch Pflicht und gewiss wird … schwer fallen, alles mögliche aufzubieten, um Dir, liebe Schwester, in deinen hilflosen Lage beizustehen. Durch die Erfüllung derselben werden wir nur einen sehr kleinen Teil unserer Schuld an dich abtragen, indem Du durch so viele Jahre die kindlichen Pflichten an unserer Mutter ganz alleine und mit einer Gewissenhaftigkeit und Standhaftigkeit erfülltest, die jedem Kinder zum Muster dienen kann, was Dir auch gewiss bei dem einstigen Verlust dieser vortrefflichen Frau Trost und Linderung Deines Schmerzes gewähren wird.
Bruder Johann, der sich schon als Kind durch seine Teilnahme und geschwisterliche Liebe von uns allen auszeichnete, ist in der glücklichen Lage, Dir mit offenen Armen eine Wohnung anbieten zu können. Ich glaube, daß du von der Redlichkeit seine guten Herzens überzeigt keinen Anstand nehmen solltest, das Anerbieten anzunehmen. Vielleicht könnte sich auf diese Art jenes Bild unserer kindlichen Phantasie realisieren, daß wir einstens alle zusammen unsere alten Tage in einem gemütlichen Kreise verleben, denn Bruder Ignaz wird es im Militair wohl nicht mehr lange mitmachen und dann wahrscheinlich auch in Eurer Mitte wohnen. Und was mich betrifft, so sind die Aussichten von der Art, daß ich wohl bis dahin, da ich es zu einer honetten Pension bringe, ein so alter Haudegen werden muß, daß ich noch froh sein werde, mein Schifflein in den Hafen der Ruhe steuern zu können.
Ich schicke Dir hier einen Verzichtleistungsrevers, gerichtlich bestättigt, den Johann schrieb, da er zur Erhaltung einer Pension für Dich von einigem Nutzne seyn könnte. Sey überzeugt, liebe Schwester, daß ich Dir diese Post auch dann und zwar mit viel mehr Vergnügen zustellen würde, wenn nur etwas da wäre, auf das zu verzichten der Mühe werth wäre.
Ich schließe diesen Brief mit der Versicherung meiner aufrichtigen Liebe gegen Dich. Sei überzeugt, liebe Schwester, daß diese nie aufhören wird und daß es mich gewiß sehr freuen würde, Dir meine Liebe und Zuneigung beweisen zu können. Leb recht wohl und beruhige mich bald über den Zustand unserer guten Mutter.
Es küßt Dich viele Male dein aufrichtiger Bruder Carl Anthoine.
Johanns Brief werde ich nächstens beantworten.

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