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31. 3. 1892
lf. Nr.
Aussteller
Anna Bernhuber
Empfänger
Fraeulein A.
Verehrtes Fraeulein!
Eine recht traurige Veranlassung ist es, welche mich auffordert, mich Ihnen als Unbekannte schriftlich zu nahen. Durch Jahre langes Zusammenleben mit Fraeulein Strobl sind mir ihren Er-zaehlungen nach die Personen, mit denen sie in Briefwechsel stand, nicht so ganz fremd, ich weiss daher auch, dass sie mit Ihnen korrespondierte.
Ob Fraeulein Strobl Ihren lieben Namenstagbrief beantwortet hat, weiss ich nicht. Ist es der Fall, wird es Sie umso schmerzlicher ueberraschen, wenn ich Ihnen mitteile, dass die Theuere nicht mehr unter den Lebenden weilt. Morgen werden es schon acht Tage, dass sie nach nur zweitaegigen Krankenlager im Herrn entschlafen ist. Ein vorausgegangener Catarrh, dem zuletzt die Influenza folgte, verursachte einen raschen Verfall der Kraefte, was ein so unerwartet schnelles Ende herbei-fuehrte. Die Verblichene hatte das Glueck, noch die heiligen Sterbesakramente empfangen zu koennen.
Entschuldigen Sie, verehrtes Fraeulein, dass Sie erst jetzt die betruebende Nachricht erhalten, ich wollte Ihnen aber keine Todesanzeige senden, sondern selbst schreiben, was sich nun so lange verzoegert hat. Ein Todesfall bringt ja gar Vieles mit sich, dass man gar nicht recht zu sich selbst kommt.
Die gute Entschlafene war mir und meinen beiden Soehnen eine liebe Freundin und treue Rath-geberin, wir haben sehr viel an ihr verloren. Wer sie naeher kannte, musste sie lieben und hoch schaetzen; Sie, verehrtes Fraeulein, wissen gar gut, was fuer treffliche Eigenschaften die liebe Verstorbene hatte.
Ein paar Sterbebilder erlaube ich mir beizulegen. Mit herzlichem Bedauern, dass ich Ihnen so schmerzliche Kunde bringen musste, zeichnet sich hochachtungsvoll
Ihre ergebene Anna Bernhuber
Passau den 31ten Maerz 1892