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6. 1. 1831

lf. Nr.

Aussteller

Carl A.

Empfänger

Marie A.

Tarnopol am 6. Jänner 1831
Liebe Schwester !
Deinen Brief, worin Du mir den betrübten Tod unserer guten Mutter bekannt gibst, erhielt ich wenige Tage, nachdem ich ein Schreiben von Johann bekam, worin er mich auf das baldige Ende derselben prävocirte[?]. Auf den Erhalt des Letzteren erließ ich eine Epistel an Dich, ob Du sie erhalten, weiß ich nicht, über das erfolgte Ableben unserer Mutter aber schrieb ich nach Erhalt Deines oberwähnten Briefes dem Bruder Johann, weil ich mir vorstellte, daß Du seinem Anerbiethen zu Folge zu ihm gegangen wärest, daher sich nicht wohl erwarthen ließ, daß Dich mein Brief noch in Linz antreffen würde.
Ich weiß nicht, ob sich für Dich eine bessere Gelegehneit treffen wird, ein ruhiges u. doch wenigstens sorgenfreies Leben zu führen als das, welches in der Einladung des Johann trifft. Seine stets so zarten brüderlichen Gesinnungen gegen jedes seiner Geschwister ist Dir so bekannt wie mir, u. jede Einwendung, nicht unmittelbar dependent seyn zu wollen, fällt hier von selbst weg, zumal Du Dich ebenfalls einer wenn gleich unbedeutenden Pension erfreust u. sich im Falle eines ehnlichen Zusammenlebens die gegenseitigen Gefälligkeiten am Ende aufheben. Ob die Gebirgsluft in Saalfelden convenabl seyn wird, ist ein anderes, was ich nicht entscheiden kann.
Seit dem Ableben unserer stets unvergeßlichen Mutter sind heutte zwey Monathe verflossen. Die Zeit, welche alle Schmerzen lindert, kann hier das ihre noch nicht gethan haben. Dennoch müßen alle Erinnerungen bey Dir zu neu seyn, als daß sich so etwas erwarten ließe. Aber der erste Eindruck, der immer der empfindlichere bleibt, muß sich so weit gelegt haben, um der vollen Überlegung Raum zu laßen. Daher Du es bis itzt wohl kaum hinlänglich erwogen haben wirst, was für Dich das Vortheilhafteste seyn dürfte.
Seit dem sich die Unruhen im Marschanischen[?] ereigneten, haben sich hier viele Enderungen ergeben. Um Lemberg besonders und überhaupt in ganz Galizien wird ungemein viel Militair zusammengezogen. Alle hierländigen Regimenter wurden mobil gemacht, und so kommt es, daß auch wir unser Czernowitz verlassen mußten, in welchem ich beynahe alt geworden bin. Wir hatten bereits unsere Instradierung bis Lemberg, wo wir unsere Cantonirungen[?] beziehen sollten. Aber da verbreitete sich der Ruf von der nunmehr im Schwunge geha… Morbus Collera, in Folge dessen unser Marschplan eine starke Enderung erlebt u. wir längs der russischen Gränze in bescheidenen, elenden Judenstädten und -dörfern unsere Aufstellung erhielten. Ich befinde mich in der dermahligen Staats Station. Die stärkere Consumation, welche nothwendig durch eine so beträchtliche Menge Militair erfolgen mußte, zeigt sich für uns recht nachtheilig, indem die Theurung in jeder Hinsicht um das Doppelte gestiegen ist. Und da man noch mehrere Regimenter aus Ungarn und Siebenbürgen erwartet, so kann es nicht fehlen, daß wir das kommende Frühjahr , wenn sonst keine Enderung geschieht, sehr theuer leben werden.
Unter den Regimentern, die aus Ungarn kommen, ist auch Vaquant Inft. Es würde mich nathürlich sehr freuen, wenn ich bey dieser Geöegenheit den Ignatz zu sehen bekämme, denn zu hören ist von ihm schon lange nichts. Ich schrieb ihm im Juny, der Brief wurde beantwortet; aber ein späteres u. ein zweytes, erst unlängst erlassenes Schreiben hatten keinen so günstigen Bescheid. Was die Ursache seines Stillschweigens gegen uns alle ist, kann ich mir nicht erklären.
Dem guten Bruder Johann, ihm sey so gut zu schreiben, daß mir auch sein letzter Brief richtig zugekommen ist, und unterrichte ihn von meinem dermahligen Aufenthaltsorte. Solltest Du mir bald schreiben wollen, so wäre der Brief noch hieher zu adressieren. Später aber wäre auf jeden Fall eine neue Bestimmung zu erwarthen, weil ich glaube, daß, wenn diese sogenannte Collera [auch?] Euch erreicht haben wird, wir besonders gegen das Frühjahr zu keine Stunde hier stehen bleiben. Wohin es uns aber noch treffen wird, weiß der Himmel, denn in dieser vielbewegten Zeitperiode läßt sich selbst von dem kommenden Augenblick nichts bestimmtes sagen.
Der Theres, dem Schwager Hayden u. allen den Seinigen wie auch Dir, geliebte Schwester, wünsche ich zu dem neuen Jahr alles gute. Ich bin zwar etwas spät mit meiner Gratulation gekommen, sie ist aber nichtsdestoweniger aufrichtig gemeint.
Ich schließe diesen Brief, indem ich Dich vielmahls küsse und Dich versichere. Daß meien aufrichtige Liebe zu Dir in keiner Gelegenheit aufhören wird.
Dein Dich liebender Bruder Carl Anthoine.

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