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Lebensgeschichte Johann Jax
In Linz feiert am 26. November in aller Rüstigkeit der in weiten Kreisen der Stadt und des Landes wohl bekannte und hochgeschätzte Fabrikant Herr Johann Jax seinen 90. Geburtstag.
Es waren ein paar angeregte, interessante Nachmittage, an denen mir der freundliche, rüstige Greis, der seinen gesegneten Lebensabends in seinem Hause an der Landstraße verbringt, in bewundernswerter Frische aus den Erinnerungen seines arbeitsvollen, langen Lebens erzählte, es zurück schritt bis in das kleine Mühlviertler Dorf, in dem seine Wiege stand. Ich habe ihm nicht verraten, dass ich gekommen war, um ihn für einen Geburtstagartikel in unserem Blatt zu interviewen – er hätte mir vielleicht bescheiden gewehrt. So aber ward ein gutes Stück Alt-Linz lebendig. Aus dem Bunt der Erzählung fügte sich das Bild dieses Lebens:
Jugend und Wanderzeit
Die Jax sind ein altes Mühlviertler Geschlecht. Johann Jax wurde am 26. November als Sohn des Pächters einer kleinen Wirtschaft in Tierberg in der Pfarre Hirschbach geboren. Am Rande des 900 Joch großen "Miesenwaldes" stand später sein Heimathaus, der Mühlviertler Forst umrauschte es und dar oft mochte Frau Sorge ihre schwere Hand über das kleine karge Häusel gehalten haben. Die "Hochschule" besuchte der junge Hansl im nächstgelegenen Ort, in Schenkenfelden – aber schon nach fünfeinhalb Jahren hieß es Abschied nehmen und hinaussteuern ins Leben! Ein Gichtleiden machte den Buben ungeeignet für die Bauernarbeit, er wurde zu einem Schneider in Amesschlag bei Leonfelden in die Lehre getan. Nach drei Jahren ist der Siebzehnjährige frei und nun beginnt die Wanderschaft. Der Vater ist tot, die Mutter kämpft sich mit den fünf Geschwistern mühsam durch. Der junge Hans strebt in die Weite. "Enters Wasser", jenseits der Donau, die er nach eisiger Winterwanderung bei Mauthausen überquert, sieht der Mühlviertler Bub zum ersten Mal erstaunt anderes Land, andere Leute. Da gab es bei den Bauern, bei denen er übernachtete, auch an "gewöhnlichen Werktagen" Fleisch… Und dann erst das Leben in Steyr, wo der Geselle bei einem Meister in der "Enge" einsteht! Mit hellen Augen sieht der junge Mühlviertler in dies ungewohnte neue Treiben. Und wen einmal das Wanderfieber gepackt, den lässt es nimmer so leicht los. Der Junge kauft sich eine Italienisch-Grammatik, er will nach Italien. Von Steyr geht es nach Innsbruck, noch gibt es wenig Bahnen, die Westbahn führt erst bis Linz, Salzburg steht noch im Schmuck seiner Mauern und alten Tore. Im Gebirge packt den jungen Menschen zum ersten Mal Sehnsucht nach der Mühlviertler Heimat. Mitten im Winter geht’s über den Brenner, wo eben die Bahntrasse ausgesteckt wird. Italien lockt… Irgendwo findet der Wanderer eine verwitterten Grenzstein: "Gränze zwischen Deutschland und Wällischland". Bis über Trient hinaus geht die Wanderschaft, dann zurück, etschaufwärts, über den Arlberg an den Bodensee, nach Bayern, nach Innsbruck. Im Zillertal hat der Wandergeselle bei einer einsamen Gebirgsüberquerung das erste Mal das beglückende und überwältigende Erlebnis des Hochgebirges. Klagenfurt ist das nächste Ziel, Mariazell, Graz, Agram dann mit seinem orientalischen Zauber, damals nur zwölf Stunden von der türkischen Grenze entfernt. Von Cilli aus rückt der militärdienstpflichtig Gewordene zu seinem Regiment, den "Hessen", ein – gerade recht für die Feldzüge von 1864 und 1866, die er bei Översee und Königgrätz mitmacht. Auf dem fluchtartigen Rückzug gelangt der junge Soldat von Königgrätz nach Pressburg und endlich nach dem Friedensschluss nach Hause. Seine Mutter erkennt ihn nicht wieder, seit seinem ersten Wandertag hat er sich nie mehr zu Hause blicken lassen…
Der Geschäftsmann – Die ersten Nähmaschinen in Linz
Ein Posten bei einem alten Schneider in der Kapuzinerstraße in Linz führt Jax an die Stätte seiner späteren Wirksamkeit, in die Landeshauptstadt. Er arbeitet hier auch beim alten Dobretsberger. Am 16. November 1867 eröffnet er sein eigenes selbständiges Geschäft am Taubenmarkt (Graben 44), aber nicht etwa eine Schneiderei, sondern einen Handel mit – Nähmaschinen, die eben damals ihren Siegeszug in die Schneiderwerkstätten und Privathäuser antraten. Der helle, bedächtige Mühlviertler Kopf ahnte: Das müsste ein guter, kräftiger Griff sein, eine zukunftsreiche Sache. Noch gab es wenige solche neuartige Maschinen in Linz – Jax hatte die erste, noch schwerfällig und langsam, mit Schützen und Weberschiffchen ausgestattet, auf seiner Wanderschaft 1861 bei Meister Jennewein in Innsbruck gesehen – und die Linzer staunten nicht wenig, als sie zu Weihnachten 1867 in der Zeitung eine Beilage fanden, die dies neue Werk der Technik in Bild und Wort vorführte. Mutter Jax hatte ihre Kuh verkaufen müssen, ein paar Militärkollegen schossen Geld vor, damit die ersten Maschinen in dem jungen Unternehmen auf Lager gestellt werden konnten… Noch hatte das neuartige Ding allerhand Schwierigkeiten zu überwinden und wenn es auch in Oberösterreich, nicht wie in Paris, zu einem "Nähmaschinensturm" kam, gab es doch auch hier viele, die einem "modernen" Schneider, der mit der Maschine nähte, ihre Kundschaft entzogen und ihn nicht mehr auf die "Stöhr" nahmen. Es passierte ja bei der Unzulänglichkeit der damaligen Maschinen nicht selten, dass die frischen Nähte an den Kleidern den Halt verloren und sich zum Gaudium der Zeugen auftrennten… Doch vermochte das kleine Nähmaschinengewölbe am Taubenmarkt die vielen Neugierigen bald nicht mehr zu fassen und so konnte man dort bei schönem Wetter das seltsame Bild sehen, dass stets ein paar Maschinen auf offener Straße auf dem Trottoir standen und die Käufer eifrig daran hantierten und sich in die Kunst des Nähens einführen ließen… Im zweiten, dritten Jahr des Geschäftsbestandes beträgt der Jahresabsatz bereits über 1000 Maschinen, heute sind es mehr als 100.000 dieser praktischen Helfer der Frau, die durch das alte Linzer Handelshaus abgesetzt wurden. 1875 kauft Johann Jax das Haus Nr. 39 an der Landstraße, setzt einen dritten Stock auf, baut später die Fabrik in der Humboldtstraße. Die Firma breitet sich allmählig über ganz Österreich aus, unterhält schließlich 20 Filialen, ihr Chef macht weite Geschäftsreisen, die ihn bis nach Frankreich und England führen.
Die Rettung der Dreifaltigkeitssäule
An einem Junimorgen des Jahres 1869 sieht Johann Jax ein seltsames Gefährt ab seinem Gewölbe vorüberfahren: eine geschlossene Kutsche, der ein Zug von Waisenkindern das Geleite gibt. Im geschlossenen Wagen: ein Polizist, der Stadtsekretär und – der Bischof. Franz Josef Rudigier wird zum Landesgericht eskortiert. Es ist die Blütezeit des hemmungslosen Liberalismus, sie gibt Johann Jax Gelegenheit zu einer ebenso schönen und verdienstvollen wie wenig bekannten Tat. Damals drohte auch ein edles Wahrzeichen von Linz, die wundervolle barocke Dreifaltigkeitssäule am Hauptplatz, ein Opfer der liberalen Machthaber zu werden. Die Säule war argem Verfall preisgegeben, die "Glorie" verwittert und zerfressen, Stücke der Dreifaltigkeitsgruppe hingen von der Säule, die Stufen waren verfallen, die Gitter verrostet. Allen Ernstes konnte ein Liberaler im Gemeinderate den Ausspruch tun: "Meine Herren, schauen wir, dass wir diesen Steinhaufen von Hauptplatz wegbringen, es ist höchste Zeit…" Jax war Mitglied des katholischen Kasinos, er stellte, um die Säule zu retten – telegraphisch von Salzburg aus – den Antrag, ein Denkmalkomitee zu berufen und zeichnete zugleich als ersten Beitrag 200 Gulden. Er, der Druckereileiter des Pressvereins Johann Lechfellner und Stadtpfarrkooperator Hauch werden in das Komitee entsendet. Die Kosten der Erneuerung des Kunstwerkes werden auf 100.000 Gulden geschätzt… Bilder der Säule werden versandt, Bittschreiben, Bittgänge bis zum Kaiser, zum Bischof, zu den Erzherzogen. Geld fließt ein, das Werk kann gewagt werden. Zimmermeister Grubmüller stellt kostenlos das Gerüst bei, die Figuren werden abgenommen und neu feuervergoldet – 800 Dukaten wurden dazu gebraucht – die Steinteile am Sockel mit Gramastettner Granit erneuert und nach halbjähriger Arbeit steht die Säule in neuer Pracht vor den Linzern. Jax hat nicht nur damals alle Mühe und eine beträchtliche Summe für die Erneuerung der Säule aufgewendet, er hat seither die Säule alle drei Jahre reinigen lassen und, als der letzte Überlebende des Denkmalkomitees, auch die kleineren Erneuerungsarbeiten getreulich durchführen lassen. Erst im Jahre 1931 ist die Verpflichtung, die Dreifaltigkeitssäule zu erhalten und zu betreuen, in aller Form auf den katholischen Volksverein übergegangen, der damit das langjährige Erbe des Hauses Jax antrat. Der "heilige Geist2 der alten Säule, der schadhaft geworden war und durch eine neue Taube ersetzt werden musste, hängt noch heute als Wahrzeichen dieser schönen Tradition im Jax-Haus. Es dürften wohl wenige Linzer um die Verdienste dieses Einzelnen um ein allen so vertrautes Wahrzeichen der Stadt gewusst haben.
Die Verbauung von Lustenau und Waldegg
Im Jahre 1897 erfuhr Jax, dass der Besitz des "Löfflerhofes", des alten Gasthauses an der Wiener Straße, durch Erbteilung zerschlagen wurde. Es handelte sich um einen gewaltigen, 75 Joch großen Grundkomplex im Süden der Stadt, war doch der "Löfflerhof" einer der größten und bedeutendsten Bauernhöfe um Linz. Noch gab es südlich der Westbahnlinie keine geordnete Verbauung, Der Zug der Wiener Reichsstraße war noch nicht geregelt, Wiese, Äcker und Wald dehnten sich hier, wo in den nächsten Jahrzehnten eine neue Stadt aufschießen sollte. Es gehörte einiger Mut dazu, in diese Gegend Kapital zu investieren – was nun folgte, erinnert in kleinem Stil an Amerika. Jax kaufte den "Löfflerhof" samt dem Großteil des Grundes und führte die bereits angebahnte Parzellierung zu beiden Seiten der Wiener Reichsstraße durch -, da sich die Gemeinde zunächst ablehnend verhält, packt er kurzerhand den Geländeplan, fährt damit nach Budapest, wo er bei einer befreundeten Firma 500 Stück des Bebauungsplanes herstellen lässt, schickt diese Pläne an alle Baumeister, Architekten, Gemeinderatsmitglieder; sie hängen bald im Linzer Bauamt, wie in den meisten Baubureaus von Linz und Wels, stehen im Mittelpunkt der Diskussion. Grundofferte, Finanzierungsverhandlungen folgen. Ein Geleise führt von Bahnhof ins Baugelände, ein paar Jahre rollen hier Rollbahnwagen mit Lösch gefüllt: das Baufeld wird stellenweise gehoben. Straßen werden vermessen, bald ragen Wälder von Langtennen auf, eine großartige Bautätigkeit beginnt. Jax lässt auf eigene Rechnung gleich sieben Häuser in Bau setzen, die ersten in der heutigen Unionstraße, später in der Drouotstraße, tritt den Baumeistern Grund ab und lässt sich von ihnen in Gegenrechnung Häuser bauen. Belehnung der Neubauten schafft Kapital für die Fortführung der Bautätigkeit. Die Niederlassung der Redemptoristen im neuen Stadtviertel, die zuerst in einer von Jax im Jungviehstall des "Löfflerhofes" eingebauten Kapelle Gottesdienst hielten, und die Erbauung der Herz-Jesu-Kriche an der Stelle des niedergerissenen "Löfflerhofes", für die Jax den Baugrund unentgeltlich zur Verfügung stellte, schaffen einen neuen Mittelpunkt im werdenden Stadtteil und beschleunigten die Bautätigkeit weiterhin. Jax hat auch in anderen Teilen der Stadt die Bautätigkeit gefördert. Er parzellierte Gründe am Fuße des Bauernberges und in Urfahr, wo er an Stelle eines Teiles des alten Pferdebahnhofes das Café "Kaiserhof" erbaute. In Linz ist Stadtbaudirektor Kempf sein Mitarbeiter, in Urfahr Bürgermeister Hinsenkamp.
Rastlose Tätigkeit
Als Bischof Doppelbauer – mit ihm war Jax in Rom bekannt geworden, wo Dr. Doppelbauer Vizerektor der Anima war und dem Linzer Pilger eine Audienz bei Papst Leo XIII. verschaffte – einen Baugrund für die Erbauung des Petrinum sucht, beauftragt er Jax mit dem Ankauf eines geeigneten Grundstückes. Langjährige Suche in Linz – der Grund bei den Kreuzschwestern war in Aussicht genommen -, in Auhof, in Urfahr, in Freiling, in Puchenau. Nach vierjährigen zähen Verhandlungen erwirbt Jax den prächtigen Leisenhof mit 80 Joch Grund in Urfahr von Kaufmann Depil. Damit ist die Erbauung der neuen bischöflichen Lehranstalt in herrlichster Lage ermöglicht.
In Urfahr kauft Jax das Schieferseder'sche "Mosthaus" mit dem dazugehörigen Grund, baut hier in herrlicher Lage das Marienheim, das er mit einem großen, neu angelegten Obstgarten ausstattet. Haus und Besitz übergibt er den Linzer Ursulinen, in deren Kloster eine seiner Töchter eingetreten war. Als der Kreuzweg in Margareten bei Linz baufällig geworden war, spendet Jax einige tausend Gulden und lässt die Kreuzwegstiege gründlich erneuern. Und gar manches Haus in Linz, manche Körperschaft bewahrt dankbare Gesinnung oder, still und vielen unbekannt, ein Erinnerungszeichen an die Tätigkeit dieses Mannes, manche große Sache ist durch ihn gefördert worden. Durch drei Jahre ist Jax auch im Linzer Gemeinderat tätig, in den Achtzigerjahren, als ein vorübergehender Vorstoß die Konservativen in die Stadtvertretung brachte. Er stellte auch hier seinen Mann, so in der schwierigen Kanalisierungsfrage; er scheute nicht, zur Aufdeckung der Bauschäden bei den Kanalarbeiten selber in die Kanäle hinunter zu steigen.
Daneben ist Jax rastlos im Geschäftlichen tätig. Mit sicherem Gefühl und raschem Zugriff weiß er hier das Richtige zu treffen. Bewundernswert ist sein Mut, seine Entschlossenheit, die Großzügigkeit, mit der er an alle seine Unternehmungen herantritt. Mit voller Rüstigkeit nimmt er noch heute an den Schicksalen und der Entwicklung seines Hauses wärmsten Anteil, wenn er auch die Kommandobrücke vor einigen Jahren verlassen hat. In staunenswerter Frische und Lebendigkeit weiß er zu erzählen, er erinnert sich noch heute – eine lebendige, liebenswürdige Chronik zweier Menschenalter – haargenau an viele Einzelheiten, z. B. auf seiner Wanderschaft vor mehr als siebzig Jahren, er weiß noch die Geschehnisse fast jeden einzelnen Tages…
Es würde zu weit führen, wollte man die ganze Summe dieses langen Lebens ziehen, sein weitverzweigtes Wirken in allem einzelnen schildern. Diese Zeilen sollen ja nur ein schlichtes Gedenken sein zum "Neunziger", den Johann Jax heute im Kreise seiner Familie und wohl auch unter Anteilnahme der ganzen Stadt feiert.
Dr. F. Pfeffer.