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Erinnerungen Franz Karlinger
Bei der Firma Jax lernte ich Schreibmaschinenmechaniker. Alle Vierteljahre nahm der Jax einen Lehrling auf. Der erste wurde Fahrradmechaniker, der zweite Nähmaschinenmechaniker und der dritte Schreib¬ma¬schinenmechaniker. Der Zeitpunkt, an dem jemand in die Firma kam, war also bestimmend dafür, welchen Beruf er lernte.
Ich wurde im September, nach der Hauptschule, aufgenommen. Es war eine ganz schlechte Zeit. Damals war eine so kritische Zeit wie jetzt. Es war die Zeit der großen Arbeitslosigkeit. Am Pfarrplatz in Ebelsberg trafen sich untertags an die zwanzig junge Burschen die keine Arbeit hatten. Bei mir war es auch so. Meine Mutter sagte, ich solle weiterstudieren, aber das wollte ich nicht mehr, wir kannten einen Juristen bei der Länderbank, der hatte Beziehungen. Er war auch ein Ebelsberger. Er versuchte alles, damit er die Jugend aus dem Ort irgendwo unterbrachte. Den bat meine Mutter, um Gottes Willen, Herr Doktor, schauen Sie, dass der Hansl einen Lehrposten kriegt. Als Schmied hätte ich anfangen können, aber ich war körperlich sehr schwach beisammen. Aus diesem Grund sagte er, wir sollen zur Firma Jax vorstellen gehen. Dort fragte uns der Chef wieso wir zu ihm kämen. Er sagte, was, dein Vater ist ein Eisenbahner, das sind ja lauter Rote, wir sind ein schwarzer Betrieb. Doch dann meinte er, gut, versuchen wir es einmal. Der alte Chef und der Juniorchef, beide waren da und beide hießen Franz. Ich fing in der Humboldtstraße an, dort wo jetzt die Firma Joka ist. Das war ein Jaxhaus. Nebenan war die Firma Schweizer.
Zuerst musste ich die schlechteste Arbeit machen, weil ich der Jüngste war. Meine Mutter zog mir eine weiße Leinenjacke an, ich sollte nach etwas aussehen, aber ich kam gleich am Anfang in die Lackiererei. Dort wurden Fahrräder oder Nähmaschinen generalüberholt, nicht so wie heute, wo man sich ein neues kauft, wenn das alte reparaturbedürftig ist. Der Fahrradrahmen wurde abgebrannt und blank poliert, dann gespritzt und eingebrannt. Da erlebte ich noch wirkliche Handwerkskunst. Der Kreiner besaß eine ungeheure Handfertigkeit, er konnte mit der Hand einen ganz geraden Farbstrich auf den Fahrradrahmen machen. Die Chromteile wurden bei der Firma Spindler in der Hirschgasse behandelt, dann stand ein Fahrrad wieder wie neu da. Es war sicher um die Hälfte billiger als ein neues Fahrrad. Beim Anschluss kostete ein Fahrrad 80 RM. An die Preise vorher kann ich mich nicht erinnern, ich hätte mir sowieso keines kaufen können. Die Bezahlung für einen Lehrling war 1 Schilling in der Woche, es wurde wöchentlich ausgezahlt. Ein Tischler dürfte damals 80 g in der Stunde verdient haben. Ich verdiente kurz nach dem Anschluss 5 Mark in der Woche, eine Nähmaschine kostete zirka 79 RM, vorher dürfte sie 100 Schilling gekostet haben, aber so genau weiß ich es nicht mehr.
Ich fing im 35iger Jahr an. Damals waren etwa 40 Leute beschäftigt. Ein Tischler, der Lidl, polierte eine ganze Woche lang eine Platte mit der Hand. Diese Platten für die Nähmaschinentische wurden zuerst furniert und dann poliert. Es waren sehr schöne Nähmaschinengestelle, die in der Firma Jax erzeugt wurden. In der Firma arbeiteten sechs oder acht Tischler. Drei bis vier Leute waren in der Lackiererei beschäftigt. Es gab auch eine mechanische Fertigung, wo sie Schrauben und kleinere Metallteile erzeugten. Eine Reparaturabteilung war natürlich auch da.
Die Zeit war damals so schlecht, dass in einer Woche oft nicht einmal eine Nähmaschine verkauft wurde. Mein Chef besaß einen Steyr 50, da packten wir eine Nähmaschine hinein und fuhren los. Immer musste ein Lehrbub mitfahren, zum Austragen. Da fuhren wir einmal nach Perg, Grein, in diese Richtung. Wenn wir an einer Schneiderei vorbeikamen, hielt mein Chef an, ich trug die Nähmaschine hinein, dann kam es meist zum selben Gespräch: Eine schöne Nähmaschine hätten wir da, brauchen sie sie nicht, ja gern, aber ich habe kein Geld, und so fort. Wir kamen oft erst um 10 Uhr abends nach Hause. Das nächste Mal fuhren wir nach Schärding, da sagte der Chef zu mir, rede ein bisschen mit mir, damit ich nicht einschlafe, das war der junge Chef, der Franz, er fiel in Stalingrad. Es war damals wirklich eine kritische Zeit. Es gab Wochen, in denen wir keine Nähmaschine verkauften.
Die besten Jaxmaschinen lieferte die Firma Kleinetsmüller aus Dresden. Als Lehrbub musste ich aufs Zollamt gehen, ich sagte, eine Nähmaschine ist wieder da, dann transportierte ich sie in die Firma. Auf den Nähmaschinen war ein Abziehbild, da stand schon Johann Jax drauf, das waren Spezialmaschinen, in Deutschland hießen sie Veritas. Aber der Johann Jax war in Österreich ein Begriff, deswegen wurden sie hier unter diesem Markenamen verkauft. In Linz gab es zu diesem Zeitpunkt nur Nähmaschinen der Firma Pfaff und Jax. Das Jaxzeichen, ein emailliertes Firmenzeichen, war fast in jeder Ortschaft zu sehen, von Florian bis Steyr. Mein Lehrgeselle hatte eine neue Maschine konstruiert, eine original Jax, bei der war der Name Jax schon im Rahmen eingegossen, bei den anderen war es nur ein Abziehbild. Diese Maschinen erzeugte die Firma Kaschitz in der Nähe von St. Pölten, bei uns in Linz wurden sie montiert. Mit der Fertigung war es dann aus, weil ja fast kein Absatz war. Mit den Preisen haben wir uns weniger beschäftigt.
Ich war dann zur Gruppe Reparatur eingeteilt. Ich kam in die Landstraße 39, wo heute das Ibinger ist. Die Jaxhäuser sind daran zu erkennen, dass an allen eine Muttergottesstatue angebracht ist, am Giebel oben. In Urfahr das Landgraf-Haus, auch die Arbeiterhäuser in der Gürtelstraße erkennt man daran. Der ganz alte Johann Jax, der Gründer der Firma, das war ein besonders sozialer Mensch. Er machte für die Arbeiter Kohlen- und Kartoffelaktionen. Er starb 1936 und ist mit seiner Frau in der Herz-Jesu-Kirche in einer Gruft begraben. Johann Jax war sehr religiös, auf ihn gehen diese Marienstatuen zurück. Die Herz-Jesu-Kirche finanzierte er zum Teil, er ließ auch die Dreifaltigkeitssäule am Hauptplatz in Linz renovieren, sonst wäre sie abgerissen worden. Eine Tochter kam zu den Ursulinen, diesem Orden finanziert er das Marienheim in Urfahr. In der Landstraße wurden Schreibmaschinen und Nähmaschinen verkauft. Ich reparierte Schreibmaschinen. Mein Lehrgeselle war sehr nett, hatte aber einen großen Nachteil: er zeigte er mir nichts. Wir zerlegten die Maschinen und putzten sie. Beim Zusammenbau gab es die Möglichkeit, dass eine Feder so oder so montiert wird. Er sagte mir nie, wie ich es machen müsste. Er starb überraschend, an einer Nierenoperation, mit 31 Jahren. Der Chef meinte, der Karlinger könne die Reparaturen übernehmen. Das ging schief, denn es kam eine Stress-Sache, gleich am Anfang. Jax hatte die Generalvertretung für die Adler-Schreibmaschinen. Die meistverkaufte Schreibmaschine war die Adler 7, ein Modell mit Stoßstange. Auf einmal kam eine ganz neue Maschine auf den Markt, mit einer Hebebühne. Die ESG in der Museumsstraße hatte einige geliefert bekommen. Im Chefbüro war eine kaputt. Ich musste hin, aber ich hatte die Maschine noch nicht einmal gesehen, da hätte ich sie schon reparieren sollen, ich wusste nicht einmal wie sie aufgeht. Ich kriegte sie nicht hin und die ESG schrieb eine Beschwerde. Daraufhin bekam die Vertretung der Adlermaschinen die Firma Kreiner, das war ein Geselle von Jax, der sich in der Bürgerstraße selbstständig gemacht hatte.
Im 38iger Jahr ist es aufwärts gegangen. Da war der Jax fast nicht imstande, genug Fahrräder auszuliefern. Ich war noch Lehrling und konnte mir gleich ein Motorrad kaufen, das war in diesen Jahren eine Attraktion. Am Anfang war es in der Hitlerzeit ja nicht schlecht. Im Gegenteil, 39 waren die Motorräder und Mopeds fast ausverkauft, weil die Leute einen Investitionsdrang hatten.
Im 40iger Jahr hätte ich einrücken sollen. Da intervenierte der Chef, das ginge nicht, die Privatwirtschaft brauche auch Leute, wir betreuten dann für die Wehrmachtsschneidereien die Nähmaschinen. Ich reparierte sie in den Kasernen, dadurch entkam ich dem Arbeitsdienst und ich rückte erst 1941 ein. Kurz darauf musste der Juniorchef einrücken, der in Stalingrad gefallen ist. Nach dem 45iger Jahr montierte die Firma Jax Nähmaschinen, es ging wieder aufwärts, an die 40, 50 Leute arbeiteten dort. Ich war aber nicht mehr dabei, wie dann die deutschen Maschinen, die Pfaff und die Singer in den 47, 48, die meistern im 50iger Jahr kamen, war es aus, die konnten viel billiger sein. Da kaufte keiner mehr eine Jaxmaschine.
Jetzt bin ich auf der Jagd nach einem Nähmaschinengestell, denn da besaß Jax ein eigenes Patent. Christoph Kolumbus hießen diese Maschinen. Das Gestell hatte eine Klappe, auf die die Frauen beim Nähen einen Fuß stellen konnten, oberhalb des Tretbrettes. Und Christoph Kolumbus, dieser Schriftzug war im Metallgestell eingegossen. Diese Details weisen nur das Jaxmaschinen auf.
Der Jax hatte in der Humboldtstraße einen Veranstaltungssaal gebaut, mit einer Bühne, dort konnten die Kunden Fahrradfahren lernen, wenn sich einer ein Fahrrad kaufte. Das Nachbarhaus, die Firma Schweizer gehörte auch einmal zur Firma Jax. Die hatten die Puchvertretung. Von dort holten sie die Fahrräder herüber. Es wurden nur Steyr und Puch verkauft, das waren die einzigen Firmen, die gute Räder erzeugten, Waffenräder. Es gab noch eine Schweizer Firma, von der Fahrräder verkauft wurden, Arabelle hießen sie. Im Lokal auf der Landstraße war unten das Verkaufslokal und oben die Werkstätte.
Als Lehrlinge mussten wir seinerzeit schon noch andere Sachen als heute machen, um acht Uhr, ich fuhr mit dem Zug nach Linz, er durfte daher keine Verspätung haben, denn ich musste gleich als , erstes den Gehsteig putzen und die Hundswürstel wegräumen, das darf heute ein Lehrling gar nicht mehr machen, das sind Hilfsarbeiterarbeiten. Am Freitag musste ich Teppichklopfen. Irgendwie war ich doch froh, überhaupt Arbeit zu haben. Jeden Tag musste ich für alle die Jause holen. Auf der Landstraße waren wir so sechs oder acht Leute. Da ist es leicht gegangen. Ein Salzwecken mit Butter und Leberkäse kostete 30 g, ein Semmerl 6 Groschen. Der eine wollte einen Leberkäse von dem einen Fleischhauer, der andere von einem anderen Fleischhauer, ein anderer wieder eine Bensdorp-Schokolade. Zehn Groschen kostete eine, ich sammelte die Schleifen, ich habe sie noch aufgehoben. Der eine wollte also einen Leberkäse, der andere einen Aufschnitt oder eine Knacker. Das hat alles kostete Zeit. Der Pferdefleischhauer war hinter der Post, in der Kollegiengasse, den besten Most gab es im Gasthaus zum Wilden Mann.
Ich war ein Sittsamer, die Ohrfeigen saßen aber trotzdem locker. Da war ein alter Meister, 75 Jahre war er alt, der hatte so viel Kopfweh, der wollte immer, dass ich ihm ein Pulverl hole. Da waren zwanzig Leute in der Ordination, sie ließen mich zwar vor, es dauerte aber trotzdem, dann bekam mich geschimpft, weil ich so lange weg gewesen war. Von dem bekam ich manchmal eine ordentliche Ohrfeige.
Im Mai 40 wurde eine Photoaufnahme gemacht, da waren schon viele Leute weg, eingezogen, seinerzeit war so ein Photo eine Rarität, in diesem Jahr war die zeit schon besser, da hatte sich einer einen Fotoapparat gekauft und die Kollegen fotografiert. Wir hatten als Ersatz für die, die einrücken mussten, einen Fremdarbeiter in der Firma, einen sehr guten Arbeiter, ein Tscheche. Wenn eine Nähmaschine zur Reparatur kam, die hinuntergefallen war, zerlegte er sie und steckte sie in den Ofen. Das Gestell der Nähmaschine hat man ja nie zerlegt, damit es in der Gewichtung bleibt. Der Guss musste gleichmäßig glühen, damit er nicht riss. Dadurch hat sich alles wieder eingerenkt. Das war schwierig, denn die Nadel muss ganz in der Mitte stehen. Da gibt es keinen Spielraum. Dann kam das Gehäuse darauf und die Nähmaschine wurde neu lackiert. Es gab eine große Holzkiste, die trugen wir in den Keller und füllten sie, anstatt dass wir sie oben, an Ort und Stelle, aufgefüllt hätten. Jeden Freitag mussten wir nasse Sagscharten auf den schwarzen Ölboden streuen und aufkehren, mit einem Bartwisch, ein großer Besen war nicht vorhanden. Ein Auto gab es nicht. Mit einem Dreirad lieferten wir bis in das Zaubertal Nähmaschinen aus. Da fuhren immer ein Hilfsarbeiter und ein Lehrling mit, der sie dann an Ort und Stelle montierte. Es war wirklich keine leichte Zeit.
Mit dem Dreiradler holten wir am Fronleichnamstag Bilder bei den Ursulinen und den Karmeliten. Das waren Bilder für den Altar, der vor dem Geschäft aufgestellt wurde, denn der Umzug kam auch beim Jaxgeschäft auf der Landstraße vorbei. Ein Mechaniker musste immer im Geschäft bleiben, wenn eine Maschine verkauft wurde, denn er musste sie auf den Bahnhof bringen. Ein Lehrling musste auch immer da sein, damit er sie einpacken konnte. Früher war es so, dass die Pferdefuhrwerke kamen, der Heisenberg und der Feischi aus Freistadt. Der Bote brachte uns in der Früh die Nähmaschine, wir reparierten sie und um 2 Uhr fuhr er wieder zurück ins Mühlviertel. Ein Lehrling musste die Maschine mit dem Dreiradler zum Gasthaus Budweis am Hinsenkamplatz führen, das war das Einstellgasthaus.
An den 12. Februar 1934 kann ich mich noch gut erinnern. Ich ging damals in die Schule in der Figulystraße. Auf einmal kommt der Lehrer herein und sagt, es ist Revolution, es ist schulfrei. Wir sind gleich auf den Bahnhof. Um zehn Uhr fuhr ich mit dem Zug schon nach Hause, bei der Frankfabrik stand ein Möbelwagen, da war schon Kampftätigkeit.
Meine Schwester und ihre Freundin gingen in die Ursulinenschule. Kurz vor Schulbeginn fuhren sie am 12. Februar nach Linz. Bei der Mozartkreuzung stiegen sie aus. Um Halb acht gingen sie in der Höhe des Zentralkaffees. Eine Straßenbahn kam daher. Ihre Freundin ging vor der Straßenbahn über die Straße, meine Schwester wartete und ging nach der Straßenahn. In dieser Minute fiel beim Hotel Schiff ist ein Schuss, alle rannten in die Häuser. Die Freundin kam noch bis zur Ursulinenschule, meine Schwester war verschwunden. Die Freundin kam gegen Mittag nach Hause, meine Schwerster nicht. Wir waren ohne Nachricht, denn es gab auch kein Telefon. Am Nachmittag kam um zwei Uhr ein Bote, der sagte, dass wir uns um die Schwester nicht sorgen müssen, sie wäre im Karmeliterbau in Sicherheit, bei einer Familie, wenn es ruhiger ist, schicken sie sie nach Hause. Wir hatten ein paar Tage frei. Wir waren damals noch Kinder, an uns ging alles ziemlich harmlos vorbei.
Wir wussten damals schon, was sich abspielte. Etwas anderes war das beim Hitler. Beim Hitler hieß es, Rollbalken herunter, der Hitler kommt. Keiner hat sich so richtig getraut. Arbeit und Brot, eine Bierkapsel, das haben sie verteilt. Es gab einzelne Jugendliche, meist solche, die die Klasse schon einmal wiederholt hatten, die kamen mit rotweißroten Schärpen. Rot-Weiß-Rot bis in den Tod, hieß es ja damals. Da stand "Seit einig" drinnen, die Buben hatten es schon umgefärbt. Die Lehrer kamen nach dem Einmarsch mit dem Parteiabzeichen in die Schule, bereits am nächsten Tag.
Wir konnten die weitere Entwicklung nicht voraussehen. Außerdem waren wir als Jugendliche politisch weniger interessiert. Beim Militär gab es blinden Gehorsam. Das kann sich heute ein Bundesheerler gar nicht vorstellen. Sie wissen überhaupt nichts mehr, wir wissen alle noch wie es war.
Ich war bei den Pfadfindern und im März hieß es dann, so jetzt kommt ihr zu uns, zu der Hitlerjungend. Mit weißem Hemd und kurzer Hose machten wir gleich einmal einen Gewaltmarsch, von Ebelsberg, Autobahn gab es noch keine, Richtung Kleinmünchen, dann nach Richtung Traun und über Haid Ansfelden wieder zurück. Dort machten wir eine Pause. Es war Mai und wir hatten Durst. Wir durften aber nichts Trinken, nur einen Schluck, dadurch sollten wir Körperbeherrschung lernen. Das haben wir hingenommen, das war halt so.
Einen freien Sonntag hat es nicht gegeben. Wir trafen uns in der Melicharstraße, da hatten wir Geländedienst. Das waren keine Spiele mehr, sondern schon Kampf. Da waren oft Fanatiker dabei. Die nahmen die Geländeübungen todernst. Das war 38. Im Jahr 39 hieß es, ich wäre nun 18 Jahre alt und käme zur SA. Das bedeutete aber nicht, dass man dadurch auch Parteimitglied wurde. Wir nahmen das alles nicht so schwer und empfanden die neue Situation nicht als belastend. Den Ereignissen nach dem Anschluss schenkte ich keine besondere Aufmerksamkeit, denn damals hatte ich schon mein Motorrad, in den 30iger Jahren hätte ich mir nicht einmal ein Fahrrad kaufen können, deswegen war das Motorrad mein ein und alles, nichts anderes interessierte mich. Die waren kamen fast alle aus Deutschland. Mit dem Anschluss fiel der Zoll weg, deswegen war plötzlich alles viel billiger. Bei uns wohnte ein Diplomingenieur, der hatte eine alte Puch. Das war damals etwas Besonderes. Ich nahm mir, mit Unterstützung meiner Eltern, einen Kredit auf und kaufte mir die Puch 200. Das war zwar ein kleines Motorrad, aber vor dem 38iger Jahr hätte ich es mir überhaupt nicht leisten können. Den Leuten ist es deutlich besser gegangen, und jeder hatte Arbeit.
Der Dr. Wenigwieser, der mir die Lehrstelle beim Jax vermittelt hatte, war zwar ein Schwarzer, wie man sagt, aber ein sozialer Mensch. Die Arbeitslosen in Ebelsberg waren lauter schöne Burschen mit 20, 2 5 Jahren. Es waren schon Ältere. Gehen wir ein bisschen in der Au spazieren, oder Kugerlscheiben, sagten sie, dann zogen sie los. Damit verbrachten sie ihre Tage. Sie waren überwiegend gute Turner und Mitglieder beim Arbeiterturnverein, vor 34. Dr. Wenigwieser schlug ihnen vor, gehts zu unserem Turnverein, das war natürlich der schwarze. Damit seid ihr noch keine Parteimitglieder, aber ich kann sagen, dass ihr zu uns gehört. Die befolgten den Rat und Dr. Wenigwieser konnte alle vermitteln. Einer wurde Gemeindesekretär in St. Nikola, ein paar kamen zur Bahn. Auf dieser Basis verschaffte er den Leuten Posten. Sie waren zwar nicht bei der Vaterländischen Front, aber Mitglied im schwarzen Turnverein und so konnte er sich für sie einsetzen. 1938 bekamen dann alle Arbeit. Einer wurde Schlosser, einer kam in die Schiffswerft, einer in die Tabakfabrik. Dass da einmal ein Krieg kommen könnte und Spannungen vorhanden waren, das hat die breite Masse weniger interessiert. Auch der Anschluss wurde nicht besonders registriert. An einem Samstag, das weiß ich noch, hatte es geheißen, lasst's die Rollbalken herunter, der Hitler kommt und wir sind alle neugierig auf die Landstraße gelaufen. Da waren viele Bekannte dort, das hatte ich nicht angenommen. Die Menschen wussten oft nicht was sie tun sollten und so streckten manche die Hand hervor, zwischen den Leuten in der ersten Reihe. Ein paar Tage wurde darüber gesprochen und dann ging das Leben weiter.
Was sich auf den höheren Ebenen abgespielt hat, das erfuhren wir nicht, wir kümmerten uns auch nicht um die Politik. Dann kam die Wahl, die mit Ja oder Nein. Es gab keine Wahlzellen und zu mir sagte der, der mit den Wahlzettel in die Hand drückte: „Karlinger, sie wissen eh, was sie zu wählen haben“; so hatten die Nazis natürlich hundertprozentige Wahlergebnisse.
Die Leute konnten sich mehr leisten, viele hatten neue Wohnungen und im August begann die Errichtung der Herrmann Göring-Werke. Im Spallerhof standen im Nu die Häuser. Wir nannten sie schon damals Hitlerbauten. Der Lebensstandard hat sich schlagartig gebessert.
Nach 38 war ein allgemeiner Aufschwung. Die Fahrräder sind besonders gut gegangen. Auch jede Schneiderin konnte sich wieder eine Nähmaschine leisten. In Linz war der Hauptsitz der Firma Jax, in Salzburg und Laibach gab es Filialen. Ein Vertreter, Wegscheider hieß er, ging dann von der Firma weg und machte sich in der Goethestraße selbstständig.
Vom Kolping-Ring aus hatte sich um den Jax eine Gruppe gebildet, davon wusste ich, aber nichts näheres, denn wir als Lehrlinge waren ja noch zu jung dazu. Einer der Angestellten war in der Firma beim Werkschutz, der nahm beim Zusammenkehren den Besen und spielte damit "Habtacht". 38 kam er dann mit der schwarzen SS-Uniform daher. Da hat es ja Zivil-SS gegeben, das war keine Waffen-SS. Später erst tauchten die Sondereinheiten auf, SS-Standarten, die hatten auch schwarze Uniformen, sie waren aber militärisch.
Beim Kolping-Ring traten einige gegen die SS auf. Wir hatten einen Kollegen, er war bei den Pfadfindern, er verteidigte die Pfadfinderfahne bis ins letzte. Auch bei der Heimwehr waren einige dabei, die sagten, die SS akzeptieren wir nicht, aber die wurden schnell kaltgestellt. Vor dem Umsturz hatte sich beim Jax politisch schon etwas getan, aber das hatte nichts mit Illegalen zu tun, das war eher katholisch. Aber da waren wir zu wenig eingeweiht. Offiziell gab es die Vaterländische Front. Deren Kampftruppe war die Heimwehr, aber es gab auch noch andere Gruppierungen. An die Bock-Garde kann ich mich noch erinnern, in der Eisenhandstraße oder in der Raimundstraße begegnete mir einmal eine ihrer Truppen, die trugen dunkelgraue Uniformen und Schnürstiefel. Das war eine Minderheit, mich wunderte, wo sie das Gewand hergenommen hatten, denn damals konnte sich keiner neue Kleider oder Schuhe leisten.
Der junge Chef war engagiert, das war eher in der Übergangszeit. Dem Betrieb gehörten sie sicherlich nicht an, das wüsste ich. Ich glaube eher, die Jaxleute trafen sich im Saal, aber eine organisierte Truppe war das sicherlich nicht.
Dass sie von Jax finanziert wurden, das ist möglich, aber das muss schon der junge Chef gewesen sein. Wenn man sich das Foto anschaut, sieht man auch gleich, dass das gar keine Kämpfer gewesen sein konnten, wir waren die einzigen Jungen, sonst gab es nur Alte. So vage erinnere ich mich daran, dass sie schwarze Uniformen trugen, ähnlich wie später die SS, aber Details weiß ich auch nicht, wahrscheinlich waren sie als Gegenpotential zur SS gedacht. Wir gingen am Abend nach Hause, die Jaxleute trafen sich erst später.
Ich bin 41, direkt von meiner Arbeitsstelle beim Jax aus, eingerückt. Ich bekam am Freitag die Verständigung, dass ich am Montag einrücken muss. in der Firma war es üblich, dass jeder, der einrückt, 10 Mark bekam, als Verabschiedung, ich ging also in die Humboldtstraße zum Seniorchef, der sagte zu mir, geh zu meinem Sohn in die Landstraße, da kriegst du die 10 Mark. Der wieder fragte, ob ich schon unten beim Vater gewesen wäre und schickte mich zu ihm. Auf diese Weise bekam ich meine 10 Mark nicht. Zu diesem Zeitpunkt verdiente ich eine Mark in der Stunde, ein Facharbeiter 1 Mark 20. wir hatten arbeiten damals 50 Stunden in der Woche, samstags bis mittags. Das Geschäft war aber bis 18 Uhr geöffnet.
Auf Grund meines Berufes überstand ich den Krieg ganz gut. ich gab nie einen scharfen Schuss ab, denn ich war bei der Nachrichtentechnik. Auf Grund dessen lernte ich verschiedene Betriebe kennen, wie die Siemenswerke oder Messerschmittwerke, und da sah ich, dass ein Großbetrieb ganz anders arbeitet, als ich es bisher kannte. Es war wirklich eine arme Zeit. Wenn ich daran denke, wie wenig Betriebsmittel wir brauchten. Zum Beispiel beim Benzin für das waschen der Maschinen. Da hieß es, wie viel habt ihr letztes Mal gekauft? 5 Liter, gut dann, nehmt diesmal 3 Liter. Und lasst's euch einen Beleg geben. Dann brauchten wir Blausäure oder Borax, das brauchten wir zum Härten, oder Blausäure, das bekamen wir in der Drogerie, die war in der Bürgerstraße, dort wo sich heute das Heimatwerk befindet. Um wie viel habt ihr gehabt? hieß es. Um 30 Groschen, gut, dann nehmt diesmal um 10 Groschen. Im Krieg lernte ich dann andere Dimensionen kennen.
Nach dem Krieg fragte ich bei der Voest, ob sie Schreibmaschinenmechaniker brauchten, ich sollte sofort anfangen. Ich meinte, ich sei gerade aus dem Krieg heim gekommen, aber das nützte mir nichts, ein paar Tage später musste ich anfangen, obwohl in der Voest alles zerbombt war.