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Einleitung
Das Mittelalter war von seiner glanzvollen Höhe mit Rittertum und Minnesang einerseits und Klöster- und Städtegründungen anderseits herabgesunken und an Altersschwäche gestorben. Unter furchtbaren Wehen gebar die Welt ein neues Zeitalter. Gerade wir, die auch eine solche Zeitenwende miterleben, verstehen dieses Werden. Und tausend Fäden verbinden uns Menschen der sterbenden Neuzeit mit deren Anfängen; Lebensformen, Rechtsnormen und Bräuche stammen noch vielfach daher, und wie sich der Greis gerade an seine Jugendtage am besten erinnert, am liebsten mit den Gedanken daran sich beschäftigt, so geht auch unser Blick in jene Tage zurück, in denen in Jugendstürmen unser untergehendes Zeitalter heranwuchs.
Dieses Zurückblicken ist aber nicht ein Sprung ins Verlorene, wie es die Renaissance des klassischen Altertums zur Zeit der Humanisten war, sondern ein rückwärts schreitendes Aufdecken der Zusammenhange mit jenen froheren Zeiten, mit denen uns nicht nur kulturelle Entwicklungen verbinden, sondern mit denen wir auch durch die Bande des Blutes verknüpft sind, das von unseren Ahnen auf uns überkommen ist. Diese Art der Geschichtsbetrachtung liegt in ihren Anfängen etwa anderthalb Jahrhunderte zurück, sie ist ein Produkt der Romantik. Aus ihr fließt auch die neuere Genealogie, die die Ahnenreihen nicht verfolgt, um daraus Rechts- oder gesellschaftliche Ansprüche abzuleiten, sondern den Menschen selbst in seinen Geschlechterfolgen zum Gegenstand der Geschichtsschreibung macht.
Hier würde uns der Weg weit zurückführen, letzten Endes bis zu dem großen Tag, da der erste Mensch von der Hand des Schöpfers geformt wur¬¬de. Doch deckt Dunkelheit das Entferntere und das Licht der Quellen beleuchtet auf diesem Gebiete nur in seltenen Fällen noch den eingangs aufgezeigten Ausgangspunkt unserer neuzeitlichen kulturellen Entwick¬lung. Es ist vielmehr im Allgemeinen nur ein Zeitraum von etwa dreihundert Jahren, den wir überblicken können. Wenn auch vielfach äußere Umstände – wie insbesondere die Bauernkriege und der dreißigjährige Krieg – diese Beschränkung durch Vernichtung vieler Quellen bewirkt haben, so liegt doch auch eine gewisse natürliche Gesetzmäßigkeit darinnen. Richard von Kralik, dessen historische Intuition ich immer bewundert habe, weist ja in seinem Werke „Grundriß und Kern der Weltgeschichte“ auf die Bedeutung der Jahrhunderte als Dreizahl der Generationen und der Perioden zu drei Jahrhunderten hin. Es findet dies wohl zum Teil in der natürlichen Tatsache seine Erklärung, dass der Enkel meist noch unmittelbar aus dem Munde des Großvaters die Überlieferung der Vergangenheit übernehmen kann, die immer wieder auf ein Jahrhundert zurückgreift und sich so in drei Jahrhunderten erst erschöpft.
Und am Anfang jeder Familiengeschichte steht eben die Tradition, auch wenn sie nur dürftig ist und nur den nächsten Verwandtenkreis umfasst. Sie regte auch in mir schon früh das Interesse für die verwandtschaftlichen Zusammenhänge an, die mir in meinem Eltern-hause und bei meinen Tanten Anthoine entgegentraten, und die natur¬gemäß auf ihren Ursprung, auf gemeinsame Vorfahren jedes einzelnen Verwandtenkreises hinwiesen.
Die Jugendzeit schob andere Interessen in den Vordergrund und erst verhältnismäßig spät, selbst längst verheiratet, begann ich, soweit dies neben Berufs- und Vereinstätigkeit, wirtschaftlichen und Familien¬angelegenheiten möglich war, mich mit den oben erwähnten Zusammenhängen, zu denen nun auch die meiner Frau getreten waren, zunächst durch Aufstellung von Stammtafeln und Aufsuchen der Personaldaten der darin vorkommenden Verwandten ernstlich zu beschäftigen. Doch waren die Spitzen nur Großeltern und höchstens Urgroßeltern, auf deren Herkunft größtenteils nichts oder nur vage Familientraditionen hinwiesen. Auf der Suche nach weiter zurückliegenden Vorfahren erwuchs die Ahnentafel und die zu ihrer Aufstellung notwendigen Nachforschungen ergaben soviel interessantes Material, dass es mir geboten erschien, es geordnet in der Form einer Familiengeschichte schriftlich niederzulegen.
Die Schrift hat also in erster Linie den Zweck, unseren Kindern die Ergebnisse einer Forschungen in einer Form zu hinterlassen, welche ihnen nicht nur tabellarisch oder listenmäßig Namen und Daten ihrer Ahnen übermittelt, sondern sie auch einen Blick in ihre Lebens¬verhältnisse und in die durch sie geschaffenen verwandt-schaft¬lichen Zusammenhänge tun lässt.
Schon bei meinen Arbeiten daran bin ich auf viele an denselben Vorfahrenfamilien interessierte Kreise gestoßen; auch denen soll nunmehr die vorläufig abschließende Fassung meiner Forschungsergebnisse es er¬möglichen, noch manches daraus zu entnehmen, was bei gelegentlicher früherer Fühlungnahme nicht Gegenstand der Erörterung war.
Und schließlich sind es die Familienforscher im Allgemeinen, aus deren Kreisen ich manche wertvolle Anregungen und Hinweise empfing, denen meine Arbeit den Weg zu entlegenen Quellen vielfach zu er¬leich¬tern imstande sein mag.
So wird der Kreis derer, die sich für diese Schrift interessieren dürf¬ten, immer größer. Davon erhoffe auch ich mir den Vorteil, über manche Punkte, über die ich nicht hinwegkommen konnte, noch Aufschlüsse zu erhalten, welche allenfalls in einem Nachtrag verwertet werden könnten, zusammen mit etwaigen Ergebnissen weiterer – vielleicht noch von mir selbst durchzuführender – Forschungen. Denn wie die Ahnentafel niemals abgeschlossen werden kann, kann dies auch die Geschichte der einzelnen Vorfahrenstamme einer Familie niemals sein, ganz abgesehen davon, dass meine Arbeit in ihrem gegenwärtigen Zustande viele Lücken aufweist, die Ausfüllung heischen, und viele Fragen in Schwebe lässt, die sich vielleicht doch noch lösen lassen.
Zur Rechtfertigung dieser Mängel will ich in dieser Einleitung noch etwas über den Gang meiner Arbeit sagen.
Vor allem ist sie nicht in einem Guss entstanden, nicht einmal einer gründlichen, einheitlichen stilistischen Redaktion unterzogen worden. Viel¬leicht wäre eine solche auch auf innere Schwierigkeiten gestoßen, da die verschiedenen Zeiträume und die Verschiedenheit der Quellen den stilistischen Charakter der einzelnen Textgruppen beeinflussen mussten. So ergab sich für die Behandlung der älteren Generationen die Form historisch-kritischer Untersuchungen, während die jüngeren – besonders insoweit ein umfangreicheres Traditionsgut oder gar persönliche Erinnerung zur Verfügung stand – mehr erzählend geschildert werden konnten.
Dazu kommt noch der große Zeitraum von über zehn Jahren, den die textliche Ausarbeitung auch nur des bisher fertiggestellten Teiles der Familiengeschichte erforderte, und während dessen sich durch Hinzutreten neuer Forschungsergebnisse eine oft mehrmalige Umarbeitung und Ergänzung des Textes als nötig erwies. Gerade in dieser Zeit war der Verfasser überdies durch schwerwiegende Ereignisse vielfach nicht nur oft für lange Zeit an der Arbeit überhaupt gehindert, sondern auch von der geistigen Durchdringung derselben immer wieder abgelenkt und hatte schließlich auch mit immer mehr abnehmender Concentrations- und Arbeitsfähigkeit überhaupt zu kämpfen.
Aber nicht nur die daraus entsprungenen redaktionellen Mängel sind geeignet, das Missfallen des kritischen Lesers zu erwecken, sondern auch sachliche, welche hauptsächlich auf unzulänglichem Aufsuchen in Betracht kommender – selbst leicht erreichbarer – Quellen und unvoll¬kommenem Ausschöpfen der benutzten beruhen.
Das kommt zunächst daher, dass der Verfasser seine Forschungen in den Kirchenbüchern begann, die damals fast nirgends mit Indizes ver¬sehen waren, und darum ein sprunghaftes Arbeiten nötig machten, da es unmöglich gewesen wäre, ganze Bände durchzulesen. So wurde z.B. von einem bekannten oder gefundenen Taufdatum ausgehend rückwärtsschreitend die Eheeintragung der Eltern gesucht, dann – wenn nicht eine Altersangabe bei der Ehe oder beim Tode vorlag – von der Eheschließung 20 – 30 Jahre weiter zurück nach den Taufdaten der Eltern usw. Diese sprunghafte Arbeitsmethode übertrug sich dann auch auf die Durchsicht der Herrschafts- (Brief-, Gerichts-) Protokolle, in denen zunächst nur die Zeiträume um ein bekanntes Todesdatum nach Abhandlungen oder um eine Eheschließung nach Ehepakten oder einer aus diesem Anlasse etwa stattgefundenen Hausübergabe u. dergl. durchgegangen wurden. Auch spä¬ter, nachdem der Wert einer systematischen Durcharbeitung der Quellen langst erkannt war, zwang Zeitmangel zur Beibehaltung der sprungweisen Methode, wodurch mir viele wertvolle Hinweise entgingen.
Ganz besonders einschränkend wirkte sich auf die vorliegende Arbeit aus, dass es mir nur sehr selten und immer nur für ganz kurze Zeit mög¬lich war, auswärts in Pfarrämtern und Archiven zu arbeiten.
Hingegen kann ich auch einige Faktoren nicht unerwähnt lassen, die meiner Arbeit mächtige Impulse gaben. Das war vor allem der Umstand, dass eine meiner Töchter ins Institut der Englischen Fräulein in Krems als Zögling der dortigen Lehrerinnenbildungsanstalt kam und ich anlässlich der öfteren Besuche dort Gelegenheit fand, die erste Ehe Jakob Marckhgotts und in der Folge die Abstammung von Oberneukirchen in Oberösterreich zu erforschen. Die Weiterverfolgung dieses Hinweises führte mich dann ins Oberöstereichische Landesarchiv und damit zur Archivforschung überhaupt.
Weiters leitete nach dem Tode meiner Tante Sophie von Anthoine (1931) ein Brief meines Vetters Oberst Oskar Seefeldner in Salzburg eine engere Fühlungnahme mit diesem in Angelegenheiten der von ihm bearbeiteten Geschichte der Familie von Schidenhofen ein, der ich das reiche Ergebnis seines Forscherfleißes verdanke.
Durch eine im hiesigen Verein für Sippenforschung aufgefundene Geschichte der Familie Dierzer von Traunthal kam ich über meinen Vet¬ter Dr. Karl Fossel in Graz mit deren Verfasser, Sectionschef Rudolf Ritter von Forster-Streffleur, in Verbindung und mit ihm und später auch mit Vetter Fossel in regen Briefwechsel und persönliche Fühlungnahme, welche meine Rechberger-Forschung (Löffler-Frauenstamm) mächtig vorantrieb und mir Einblick in weitreichende Zusammenhänge schuf.
In erster Linie war mein Interesse aber immer nicht sosehr auf die Erforschung der Nachkommenschaft der einzelnen Vorfahren, sondern auf deren Herkunft, also auf Ausbau der Ahnentafel gerichtet, in der ich bisher … Felder besetzen konnte, wovon allerdings … auf „Ahnenverlust“ (siehe unten) entfallen.
Auch diese Familiengeschichte wird sich – allerdings chronologisch in entgegengesetztem Sinne – auf die Ahnentafel unserer Kinder stützen und die einzelnen Vorfahren, soweit dies möglich ist, nicht nur mit ihren Ge¬burts-, Ehe- und Sterbedaten aufzeigen, sondern inmitten ihrer oft recht zahlreichen Familien und ihrer Umwelt. Da scheint es mir geboten, zur Einführung des Lesers diese Umwelt vorerst im Allgemeinen zu beleuchten, denn sie ist nach der beruflichen Stellung und der Lebenszeit der einzelnen Vorfahren eine verschiedene, wohl aber wieder für Angehörige verschiedener Stämme aber gleicher Verhältnisse gleich oder ähnlich.
Um all dies deutlich zu machen wird es gut sein, zunächst einen ganz allgemeinen Überblick über unsere Vorfahren in ihrer zeitgeschichtlichen Eingliederung zu geben. Ich bemerke dazu, dass es sich dabei nicht um auf wissenschaftlichen Studien fußende allgemeingültige Ausführungen, sondern nur um Schilderung der Verhältnisse früherer Zeiten handeln kann, wie sie sich mir als Laien bei meinen Forschungsarbeiten und von diesen aus gesehen dargestellt haben.
Die ältesten Daten – die ich aus der Schidenhofen’schen Familiengeschichte von Oskar Seefeldner (Manuskript) übernehmen konnte – reichen zwar in jene Zeit zurück, die man schulmäßig als das ausgehende Mittelalter bezeichnet. Es handelt sich hier aber nur um 2 Generationen der Mornauer, einer Patrizierfamilie der Stadt Landshut in Baiern, die in der Verwaltung dieser Stadt tätig waren; die Mitglieder der Familie – die wohl auch Wappenbriefe besaß – bedienten sich des „von“ des niederen Adels und ihre Töchter heirateten in adelige Familien. Das war jene Übergangszeit, in der durch den Aufschwung des Handels, der sich vielfach auch der gewerblichen Produktion bemächtigte und den Handelsherrn zum Unternehmer machte, die Städte zu immer größerer Bedeutung emporwuchsen und sich in ihnen eine neue gesellschaftliche Schichtung vollzog, die Hand in Hand ging mit der durch den Humanismus bewirkten Schaffung eines wissenschaftlich gebildeten Laienstandes und dessen Heraushebung aus dem Volkskörper.
Was sich da in den Städten vollzog, geschah in kleinerem Maße in den Kleinstädten und Märkten; der Bürger schlechthin, der das Recht zu handeln und Wein auszuschenken hatte und sich damit und von dem Naturalerträgnisse seiner Hausgründe und seiner Anteile (Lusse) am Ge¬mein¬de¬land ernährte, baute die ursprünglich nur für seinen Hausbedarf ausgeübten Tätigkeiten zum Handwerk aus, wurde Weber, Bierbrauer, Fleischhacker u. dgl., wodurch wieder anderseits auch den übrigen Handwerkern sich der Weg ins Bürgertum öffnete.
So zusammengesetzte Marktgemeinden finden wir in Oberösterreich im 16. und 17. Jahrhundert als die Heimat eines großen Teiles unserer Ah¬nen. Sie gehen ursprünglich auf bäuerliche Rodungssiedlungen zurück; einen Übergang bilden die oft als ''Aigen“ bezeichneten Orte: Dörfer, deren Bewohner trotz Beibehaltung ihrer bäuerlichen Beschäftigung und Lebensweise häufig als „Bürger“ bezeichnet werden (z. B. Reichenthal).
Nahmen, wie oben erwähnt, die Patrizier der Städte ihren gesellschaftlichen Rang neben dem niederen, rittermäßigen Adel ein, den sie an tatsächlicher Geltung infolge ihres wirtschaftlichen Übergewichtes überragten, so gilt ähnliches von den Ratsbürgern der Märkte und Kleinstädte im Verhältnisse zu den herrschaftlichen Beamten und Pflegern, die sich meist – wenn nicht aus ihrem eigenen Kreise, häufig durch Vererbung des Amtes in der Familie – aus diesen gehobenen Bürgerkreisen ergänzten. Dazu kam noch, dass die Märkte fast ausschließlich einer Herrschaft unterworfen waren, die entweder die gesamte Gerichtsbarkeit, soweit sie nicht dem Landgericht vorbehalten war, unmittelbar ausübte oder doch den gewählten Marktrichter bestätigte. Wo ersteres der Fall war, bestand kein eigenes Marktgericht, der Marktrichter hatte hier etwa dieselbe Stellung, wie der Amtmann hinsichtlich der bäuerlichen Untertanen in seinem Amtsbereiche; auch diese Amtsträger werden übrigens in manchen Gegenden als „Richter“ bezeichnet. Ein eigenes Gericht hatten z.B. die Stadt Steyregg, die Märkte Aschach, Oberneukirchen und Ottensheim – auch Purgstall in Niederösterreich –, während z.B. die Gerichtsbarkeit in den Märkten Hellmonsödt und Zwettl unmittelbar durch die Herrschaft Wildberg ausgeübt wurde. Als solche Familien aus unserem Ahnenkreise führe ich hier die älteren Marckhgott, die Mäderer, Rechberger und Preining an.
Nebenbei – außer Zusammenhang mit unserer Familie – möchte ich hier einen Zufallsfund erwähnen, der diesen herrschaftlichen Beamtenkreis betrifft. Bei Durchsicht der Waldenfelser Herrschafts-proto¬kolle bin ich auf eine Frau aus diesem Kreise gestoßen, der Enrica von Handel-Mazzetti in ihren Roman „Meinrad Helmpergers denkwürdiges Jahr“ ein treuliches Denkmal gesetzt hat, nämlich die „Edle Frau Eva Catharina des wohledl und gestrengen Herrn Benedictus Finsterwaldter, des hochl. Stiffts und Closter Crembsmünster etc. wohl meritirten Herrn Hofrichters Ehefrau“. Sie kommt in der Abhandlung nach Johann Doblmayr im Aigen Reichenthal, „durch 32 Jahre Pfleg- und Landgerichtsverwaltern“ der Herrschaft Waldenfels, als dessen Tochter vor .
Die Eheschließungen bewegten sich fast ausschließlich innerhalb dieser Gesellschaftskreise und es ist in dieser Zeit – bis Ende des 18. Jahrhunderts – äußerst selten, dass bäuerliches Blut in die bürgerliche Schicht eindrang, und wenn, dann meist auf dem Umwege über ein oder zwei Generationen Handwerk oder aus jenen bäuerlichen Familien, die nebenberuflich herrschaftliche Ämter innehatten.
Einen Gemeindeverband im heutigen Sinne gab es außerhalb der Städte und Märkte damals nicht. Die Untertanen der einzelnen Herrschaften lebten sehr verstreut; sie waren mit den einfacheren Geschäften an den Amtmann oder Richter gewiesen, der an einem geeigneten Orte inmitten eines solchen Gebietes seinen Sitz hatte und im Übrigen ein Bauer war, der sich von der Mehrzahl seiner Standesgenossen meist nur dadurch unterschied, dass er lesen und schreiben konnte. Dabei brauchte er nicht einmal ein Großbauer zu sein; wir finden mehrfach auch Kleinhäusler als Amtsleute, z.B. die Reiter in Oberwallsee. Oft waren es Leute, die ein Landwirtshaus oder eine herrschaftliche Tafern innehatten, die Rechberger in Herzogsdorf, St. Martin und Ach (Mühldorf); der letzte aus dieser Familie blieb auch nach dem Verkauf der Taferne als Kleinhäusler und selbst noch als Auszügler im Amte, das schon sein Urgroßvater bekleidet hatte.
Die Amtsleute über die Untertanen am Sitze der Herrschaft und in dessen Umgebung führten meist den Titel „Hofamtmann“. Ob die Bezeichnung „Amtsverwalter“ immer nur auf eine vorübergehende Innehabung des Amtes hinweist, scheint mir nicht der Fall zu sein. In der Freistädter Gegend führen die Amtmänner die Bezeichnung „Richter“; so waren die Preinfalken durch mehrere Generationen „Richter zu Eybenstain“. Um sich ein Bild zu machen, wie in einer Gegend oft Unter¬tanen der verschiedensten Herrschaften wohnten, sei hier nur ein Beispiel angeführt: Im unmittelbaren Umkreise des Sitzes der Herrschaft Waldenfels finden sich: Herrschaft Freistädtische, Stadt Freistädtische und Dechantei Freistädtische Untertanen, dann solche der Herrschaften Haus, Mauthausen, Reichenau, Reichenstein, Wildberg, ja selbst solche des Stiftes Kremsmünster, letztere waren sogar so zahlreich, dass sie einen eigenen Richter hatten.
Die Hauptbeschäftigung dieser Amtleute war, bei den verschiedenen Rechtsgeschäften der Untertanen als Identitäts- und Aktzeugen zu fungieren; die behördliche Funktion übte der Pfleger, Hofrichter oder dgl. mit dem Hofschreiber aus. Diese waren meist schon in einem gewissen Grade wissenschaftlich vorgebildete Beamte, die bereits das durch die Rezeption des Römischen Rechtes entstandene „gemeine Recht“ handhabten, welches für unsere Heimat schließlich im Jahre 1811 im All¬gemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch seine für mehr als ein Jahrhundert wirksame Kodifikation erhielt.
Der Hofschreiber führte auch das Herrschaftsprotokoll – in Städten und Märkten mit eigener Gerichtsbarkeit der Stadt- oder Marktschreiber, wie wir einen solchen gleich am Beginne unserer Familiengeschichte in der Person unseres Stammvaters Daniel Marckhgott kennen lernen. Diese Protokolle, die den kurzen Inhalt der Geschäftsfälle, seltener den vollen Text der darüber auszufertigenden Urkunden enthalten, sind meist als Brief- und Inventurprotokoll, Gerichtsprotokoll, Verhandlung oder Handlungsprotokoll bezeichnet. Oft sind sie nach Ämtern, manchesmal auch nach Materien getrennt geführt. Sie sind die wichtigste und ergiebigste archivalische Quelle für Familiengeschichte, leider sind sie oft nur mehr lückenhaft vorhanden, von manchen Herrschaften, Städten (darunter Linz) und Märkten fehlen sie vollständig. Es wird darüber noch bei Besprechung der Quellen Verschiedenes zu bemerken sein.
Hinzuzufügen wäre hier noch, dass manche, besonders geistliche Herrschaften ihre Untertanen nicht selbst gerichtlich und verwal-tungs¬behördlich betreuten, sondern dies durch eine andere – weltliche – Herrschaft besorgen ließen; die letztere übte die „Vogtei“ über die „angevogteten“ Untertanen aus, die auch „Vogtholden“ hießen. So scheinen z.B. die Untertanen des Pfarrers zu Feldkirchen a. d. Donau in den Protokollen der Herrschaft Oberwallsee auf. Die Vogtei der Herrschaft Purgstall in NÖ über die Untertanen des passauischen Pfarrhofes dortselbst aber führte zu einer völligen Entrechtung der Grundherrschaft durch die Vogteiherrschaft .
Gleich hier muss aber auch darauf hingewiesen werden, dass über das Verhältnis der bäuerlichen Untertanen zu den Herrschaften vielfach ganz falsche Begriffe verbreitet sind. In dem Bestreben, alle Freiheit als Ausfluss der Aufklärung des ausgehenden 18. Jahrhunderts und die vorausgehenden Zeiten als solche menschenunwürdiger Knechtschaft erscheinen zu lassen, wurde in der liberalen Ära die durch Kaiser Josef II. erfolgte Aufhebung der Leibeigenschaft so dargestellt, als ob bis dahin die Bauern schlechterdings überall leibeigen gewesen wären. Das war nun aber gerade in den österreichischen Erblanden keineswegs der Fall und in einer ganzen Reihe auch der ältesten Geburtsbriefe wird von den Zeugen ausdrücklich bekundet, dass weder die betreffenden Personen noch deren Vorfahren je der Leibeigenschaft unterworfen gewesen seien, da diese Einrichtung in unseren Landen niemals bestanden habe. Gerade auf diesen Umstand ist m.E. der tiefgehende Unterschied zwischen Österreichern und Nordostdeutschen zurückzuführen: hier tausendjährige Freiheit – dort bis vor anderthalb Jahrhunderten Hörigkeit.
Aus dem Studium der einschlägigen Archivalien – und wohl auch der vom Verfasser allerdings nur sehr spärlich benutzten Literatur – geht deut¬lich hervor, dass das Verhältnis der Untertanen (Holden, Hintersassen) zur Herrschaft dem des ritterlichen Lehenswesens, mit dem es aus gemeinsamer Wurzel entsprungen war, damals noch sehr ähnlich war, bzw. dass es sich dabei überhaupt um ein echtes Lehensverhältnis handelte, wie u.a. aus einem Urbarium der Pfarre Purgstall vom Jahre 1640 hervorgeht, das die Bestimmung enthält, dass nach der Installation des Pfarrers alle Untertanen neue Lehensbriefe ersuchen und nehmen müssen, ebenso bei Vererbung und Einheirat . Auch in Oberösterreich, wo dieses Rechtsverhältnis meist als „Erbrecht“, „Baumannsrecht“, bezeichnet wird, finden sich viele Fachausdrücke aus dem Lehensrecht, wie z.B. dass einer sein Erbrecht „auf- und heimgesagt“ hätte. Auch die „Erbrechtsbriefe“, mit denen den neuanstiftenden Familien dieses Recht erstmalig verbrieft wurde, sowie deren Erneuerung beim Wechsel des Herrschaftsinhabers oder des Stifters (neuangehenden Besitzers, Hoferben) unterscheiden sich in ihrem wesentlichen, rechtlichen Inhalte kaum von den Lehenbriefen. Der Unterschied gegenüber den Ritterlehen – d.i. den vom Landesfürsten an die Adeligen vergebenen Lehen – und den uns hier beschäftigenden bestand im wesentlichen darin, dass der Bauer statt Heeresfolge und Steuern Arbeitsdienst (Robot) und Naturalabgaben (Zehent) zu leisten hatte. Der Anspruch auf letztere wurde übrigens von den Herrschaften bei zunehmender Feldwirtschaft häufig gegen Zahlung lehensmäßig weitergegeben, u. zw. ohne Rücksicht auf den Stand des diesbezüglichen Lehenswerbers. So kam es vor, dass Bauern Lehensträger hinsichtlich der auf ihren eigenen Gütern haftenden derlei Giebigkeiten waren, was in der Praxis einer Ablösung dieser Leistungen gleichkam.
Es würde zu weit führen, die frühere Entwicklung dieser Rechtsverhältnisse auch nur zu skizzieren, für uns genügt es zu wissen, dass sie in dieser Form schon zur Zeit der letzten Besiedlung der in Betracht kommenden Gegend unserer Heimat bestanden; seit diesem frühen, etwa tausend Jahre zurückliegenden Zeitpunkt können wir die überwiegende Mehrzahl der Vorfahren unserer feststellbaren bäuerlichen Ahnen als freie, nur durch das Lehensband in ihrem Besitze beschränkte Bauern – nicht zu verwechseln mit „Freibauern“, welche auch Abgaben und Dienstfreiheiten genossen – betrachten.
In der Zeit, in welche unsere Familiengeschichte zurückreicht, war dieses Verhältnis allerdings im Verfall begriffen. Ebenso, wie die Herrschaft der Fürsten im Absolutismus über die Rechte der ständischen Geschlechter hinauswuchs, so auch die der letzteren, welche eben die unmittelbaren Grund- und Lehensherren der bäuerlichen Untertanen waren, über diese.
So wurde nach dem Verfall der mittelalterlichen, religiös fundierten Zucht, dem Umsichgreifen der Geldwirtschaft und mit dem Eindringen römisch-rechtlicher Auffassungen in das Rechtsleben des deutschen Vol¬kes auch das Untertanenverhältnis – in argem Widerspruch mit seinen lehensrechtlichen Grundlagen – oft zur Bedrückung, die, wie immer, wenn sich alte Ordnungen auflösen, in Willkür ausartete – Verhältnisse, die ja dann neben anderen revolutionären Impulsen die Bauernkriege als Reaktion heraufbeschworen. Für uns kommt zeitlich nur der Oberösterreichische Bauernkrieg von 1626 bzw. die nachfolgende Erhebung von 1632 in Betracht, die ja im Wesentlichen ein Spiegelbild der Auflehnung der Stände gegen den Landesfürsten waren.
Die Bedrückung durch die Herrschaften traf aber – wie wir hier einschalten – nicht nur die Bauern, sondern auch und besonders in der Folgezeit die von Grundherrschaften abhängigen Kleinstädte und Markte, wovon Schachinger in der mehrerwähnten Geschichte des Marktes Purg¬stall einige bemerkenswerte Fälle anführt. Als ein ebensolches Beispiel hinsichtlich der Behandlung der Bauern weise ich auf die im Bayrischen Hauptstaatsarchiv in München erliegenden Beschwerden der Pührnsteinischen Untertanen des Hochstiftes Passau hin, aus denen die den Tafernzwang betreffenden uns wegen der beteiligten Familie Rechberger unmittelbar interessieren. Selbst an der Schwelle des 19. Jahrhunderts hören wir von einem Jaxvorfahren, der mit anderen Bauern in Angelegenheit einer Beschwerde gegen die Herrschaft Waldenfels zu Kaiser Franz nach Wien ging.
Die ausführliche Beschäftigung mit den Verhältnissen des Bauernstandes hat ihren Grund darin, dass ein stattlicher Teil unserer Vorfahren diesem angehörte. Vor allem sind das die Ahnen des Großvaters Jax, die wir von 1590 bis zu seinem Antritt der Handwerklehre – etwa 1856 – als Bauernfamilie feststellen können, die in dieser Linie erst mit dem Tode seines Bruders Franz 1941 als solche erlosch, in einer anderen Linie aber heute noch in den Jachs zu Bramhofen in der Pfarre Leopoldschlag sesshaft ist. Auch die Anfänge der später marktbürgerlichen Linie Jax-Oberneukirchen gehen auf diesen bäuerlichen Ursprung zurück. Alle diese Bauernfamilien waren in geschlossenen Dorfsiedlungen, wie wir sie im Nordosten unseres Heimatlandes finden, sesshaft.
Bauern, zu denen natürlich auch die ländlichen Handwerker, wie etwa Müller und Hammerschmiede zu zählen sind und zu denen wir selbstverständlich auch die Kleinhäusler rechnen, finden wir auch in den Rechbergerischen (Mühldorfer Linie) Frauenstämmen Grueber, Reiter u.s.w., von denen sich die Rammersdorfer „auf dem untern Gut zu Uttendorf“ bis in die Zeit vor der allgemeinen Annahme von Familiennamen zurückführen lassen. Bei den mehrerwähnten Pührn-steiner Akten im Bayrischen Hauptstaatsarchiv in München erliegt eine Abschrift der im Original zugrundegegangenen „ständischen Einlage“ von 1525; in dieser sind die Besitzer in den einzelnen Orten mit ihren Diensten nur mit Taufnamen genannt. Wie wir es gerade an dem Uttendorfer Beispiel sehen, wurden dann die Höfe in der Ortschaft nach ihrer Lage unterschieden: der untere, der mittlere und der obere Hof, woraus Namen wie: Unterpaur, Mitterpaur und Oberpaur entstanden. Oder es heiratete einer aus einer anderen Ortschaft auf einen Hof und brachte den Namen seiner Herkunftsortschaft als Familiennamen mit, wie eben der erwähnte Rammerstorfer zu Uttendorf, während es gleichseitig noch Rammersdorfer zu Rammersdorf gibt. Natürlich gab es daneben auch damals schon viele früher entstandene Familiennamen, welche oft neben örtlichen Namen – die dann zu Hausnamen wurden – in Gebrauch standen, wodurch die Übersicht sehr erschwert wird.
Außer dieser Gruppe von Bauernfamilien, die hauptsächlich im Bereich der Pfarren Feldkirchen a. d. Donau, Niederwaldkirchen und Walding ansässig waren und hier in Weilern und Haufendörfern siedelten, kommen noch die Frauenstämme der Jax-Eibenstein Familie, von denen die Feyrer im Böhmerwald, alle übrigen aber, die Manzen¬reither, Preinfalkh u.s.w. in der Freistädter Gegend bis heraus gegen Schenkenfelden beheimatet waren. Eine kleine Gruppe bäuerlicher Ahnen findet sich auch unter den Haydter-Vorfahren in der Haager und Strengberger Gegend in Niederösterreich.
Aus diesen Berufskreisen der Bürger und Bauern heraus fällt lediglich der größere Teil meiner mütterlichen Vorfahren. Zwar gehören die Anthoines in ihren Anfängen in Lothringen demselben bürgerlichen, auch mit kommunalen Verwaltungsaufgaben betrauten Kreis an wie die Marckh¬gott, Mäderer u.s.w., doch werden sie früh, wie die letzteren, auf dem Umweg über herrschaftliche Dienste hauptberufliche landesfürstliche Beamte. Bei Müllern und Biber tritt dieses Verhältnis schon früher in Erscheinung u. zw. mit militärischem Einschlag – wir finden hier in einigen Generationen auch den Offizierstand vertreten –; hingegen scheint die bisher noch ungeklärte Herkunft der Heyberger auf stadtbürgerliche, nebenberufliche Beamte, wie etwa die eingangs erwähnten älteren Mornauer, hinzuweisen. Die Reißmüller und Buchs aber sind wohl herrschaftliche Beamte bäuerlicher Herkunft. Der den Anthoine, Müllern und Biber zukommende Adel ist jüngeren Datums, was es mit dem Heybergerischen Adel für eine Bewandtnis hat, ist nicht geklärt.
Hingegen gehören die Schidenhofen dem älteren Briefadel an, Tiroler landständischer Adel. Sie sind ursprünglich Beamte landesfürstlicher Privatherrschaften, später Regierungsbeamte. Ihre Frauen entstammen frü¬her dem gleichen Gesellschaftskreise, später aus bürgerlichen Kreisen kommenden Beamtenfamilien (Daubrawa) und schließlich unmittelbar dem Bürgerstande (Schmid).